Gesprächsführung in schwierigen Mitarbeitergesprächen
Neben den üblichen Gesprächen zwischen Führungskraft und Mitarbeitern gibt es immer wieder Situationen, die schwierig oder anspruchsvoll sind: Zielvereinbarungen, Fehlverhalten, schlechte Leistungen oder Versetzungen sind Beispiele. Solche Mitarbeitergespräche stellen teilweise sehr hohe Anforderungen an die kommunikativen Fähigkeiten der Führungskraft - insbesondere dann, wenn eine Verhaltens oder Einstellungsänderung des Mitarbeiters gewünscht ist. Führungskräfte, die entsprechende Methoden der Gesprächsführung einüben und eine wertschätzende Haltung einnehmen, können mit ihren Mitarbeitern in einen lösungsorientierten Dialog treten. Sie erleben sich außerdem als wirksam, was motiviert und dazu führt, dass wichtige Gespräche nicht verschleppt werden.
Das hier vorgestellte Werte und Entwicklungsquadrat und einige allgemeine Empfehlungen zur konstruktiven Gesprächsführung sind wirksame Kommunikationswerkzeuge für schwierige Mitarbeitergespräche. Sie unterstützen die „Navigation“ in anspruchsvollen Gesprächssituationen und das Finden von Lösungswegen.
Beschreibung
Schwierige Mitarbeitergespräche führen und Kultur schaffen
Grundsätzlich ist fast jedes Gespräch zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten ein kurzfristig geschaffener „Raum“, in dem Führung und Feedback stattfindet. Hier werden wichtige Fragen - die Arbeit und Beziehung betreffen - zwischen Mitarbeiter und Führungskraft geklärt. Da Mitarbeiter ihre Führungskräfte in der Regel sehr genau beobachten, entscheiden auch Feinheiten im Gespräch, ob die Mitarbeiter dazu gewonnen werden können, ihr Verhalten anzupassen und sich mit den Unternehmenszielen zu identifizieren. Ziel ist es, auch in schwierigen Gesprächen fair und lösungsorientiert zu sein und zu bleiben. Das trifft für das alljährliche Mitarbeitergespräch ebenso zu wie für außerplanmäßige Anlässe.
Zielvereinbarungen, Mitarbeiterbeurteilungen, Fehlverhalten, Krankheit, Suchtprobleme, Versetzungen, Kündigungen, schlechte Leistungen, Unpünktlichkeit, unkollegiales Verhalten, hohe Fehlzeiten, Konflikte bis hin zum Mobbing im Team, Anzeichen von innerer Kündigung oder eines Loyalitätsverlusts (...) sind Gesprächsanlässe, die oft als schwierig und unangenehm empfunden werden. Sie stellen gleichzeitig eine Herausforderung an die Kompetenz und das Verantwortungsbewusstsein der Führungskräfte dar. Das Verantwortungsbewusstsein ist gefragt, damit unangenehm empfundene Gesprächsanlässe nicht einfach „übersehen“ werden oder ein Umweg gewählt wird, indem lieber mit Dritten über den betroffenen Mitarbeiter gesprochen wird. Kompetenz ist notwendig, damit schwierige Gespräche mit der notwendigen Sorgfalt und dem erforderlichen Know-how geführt werden, die für Veränderungen und gelungene Kommunikation wesentlich sind.
Die Folgen von nicht oder von schlecht geführten Gesprächen wirken vielfältig: Neben der Übermittlung schlechter Botschaften („Wir müssen Sie in eine andere Abteilung versetzen“) müssen Führungskräfte auch Feedback zum (unerwünschten) Verhalten und zur Einstellung geben („Ich wünsche mir, dass Sie ...“ oder: „Ihr Verhalten hat diese Auswirkungen auf ...“). Erfolgt keine Rückmeldung an den Mitarbeiter, werden die Chancen auf Veränderung einfach vergeben. Darüber hinaus können nicht geführte Gespräche auch die Motivation der anderen Kollegen gefährden. So kann beispielsweise der Eindruck entstehen, dass (mangelnde) Leistung oder (un-)kollegiales Verhalten keine Konsequenzen nach sich ziehen.
Der Bezug zur Unternehmenskultur liegt auf der Hand: Kultur und Vertrauen im Unternehmen wird, je nach dem ob und wie schwierige Gespräche geführt werden, beschädigt oder auch geschaffen.
Schwierige Mitarbeitergespräche als Feedbackchance
Feedback zu Leistung und Verhalten hat eine zentrale Funktion für die Leistungsfähigkeit des Menschen, denn es unterstützt ihn dabei das eigene Verhalten an die relevanten Anforderungen der Umgebung anzupassen. Damit steht die Qualität der Arbeitsleistung auch mit der Qualität des Feedbacks im Unternehmen in Verbindung.
Wohl dosierte und authentische Anerkennung und Wertschätzung sind wichtige Bestandteile gelungener Führung und können mit wenig Aufwand in Gespräche eingebracht werden. Viele Befragungen bestätigen dies und zeigen, wie wichtig den Mitarbeitern die Rückmeldung bezüglich ihrer Arbeitsleistung ist. Wertschätzung und Anerkennung sind aber nur eine Seite der Medaille: Führung macht auch das Ansprechen unangenehmer Themen und Ereignisse notwendig. Es zeigt sich immer wieder, dass berechtigte Kritik und sinnvolles negatives Feedback im Alltag noch seltener gegeben werden als positive Rückmeldungen. Beides jedoch, Anerkennung und Kritik, sind wichtige Elemente gelungener Führung, denn sie dienen der Verbesserung der Selbststeuerung der Mitarbeiter. Führungskräfte müssen also lernen, Mitarbeitergespräche professionell zu gestalten. Dies trifft sowohl für den Aufbau als auch auf die dabei erlebte Feedback- und Beziehungsqualität zu.
Schwierige Mitarbeitergespräche führen
Auf was muss in schwierigen (Mitarbeiter-)Gesprächen geachtet werden und wie lassen sich Gespräche konstruktiv führen? Wie lässt sich ein kooperativer Dialog aufbauen und aufrechterhalten? Welche Vorbereitungen können sinnvoll und welche Kommunikationstools behilflich sein? Das geeignete „Handwerkszeug“ kann helfen.
Grundlagen: Gesprächsvorbereitung und -abschluss
Die Grundlagen professioneller Gespräche wie die Schaffung einer angemessenen Gesprächsatmosphäre (Zeitfenster, Raum, etc.), die Vermeidung von Störungen sowie die Einhaltung der Feedbackregeln sind Standard. Zur Vorbereitung gehören ferner:
- Informationen einholen: Welche Informationen müssen im Vorfeld für ein konstruktives Gespräch beschafft werden? Müssen rechtliche Möglichkeiten, Konsequenzen und Sanktionsmöglichkeiten untersucht werden? Müssen Fakten und Beispiele eingeholt werden, um Verhaltensweisen zu belegen? Auch der Blick in die Vergangenheit kann dazu gehören. Gibt oder gab es Referenzbeispiele oder vergleichbare Situationen im Unternehmen und wie wurden diese gelöst? Selbst wenn für die aktuelle Situation andere Ergebnisse angestrebt werden, kann es passieren, dass Mitarbeiter auf die bisherigen Praktiken verweisen. Bei sehr heiklen Themen (zum Beispiel bei Mobbing, Sucht, Burn-Out, Konflikte) bietet es sich auch an Informationen über geeignete externe Unterstützungsangebote einzuholen.
- Gesprächsziele: Ein weiterer Bestandteil der Vorbereitung ist die Vorstellung eines realisierbaren Ziels. Gespräche ohne Ziel verlaufen oft unbefriedigend. Die Gespräche können - beispielsweise aufgrund falsch verstandener Höflichkeiten - „zerlaufen“, so dass die Beteiligten schließlich nicht mehr wissen, worum es eigentlich geht. Ziele helfen in diesen Situationen, wieder „Boden unter den Füßen zu gewinnen“. Folgende Fragen helfen für die Gesprächsvorbereitung: Was sollte am Ende des Gesprächs geklärt oder vereinbart sein? Gibt es unterschiedliche Zielvarianten (Minimalziele oder Optionen)? Welcher Spielraum und welche Ressourcen bestehen, um auf die Situation individuell einzugehen (vielleicht für Weiterbildung, Coaching, Versetzung, Outplacementberatung, etc.)?
- Bilanzierung und Verabredungen: Bevor die Ergebnisse bilanziert werden, muss der passende Abschluss gefunden werden. Ein guter Zeitpunkt, um das Gesprächsende einzuleiten, ergibt sich erfahrungsgemäß dann, wenn ein (Teil-)Ergebnis oder aber auch eine Sackgasse erreicht sind. Durch das richtige Timing wird ein erreichtes Ergebnis nicht wieder verwässert oder zu viel Kraft für „ausweglose Situationen“ verbraucht.
Das Gespräch und die Ergebnisse („Was haben wir alles erreicht?“) werden zum Schluss bilanziert und mit dem Anlass in Verbindung gebracht („Was war unser Thema und Ziel?“). Auch ein Blick auf die „offen“ gebliebenen Themen ist wichtig, damit wichtige Aspekte zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden können. Schließlich müssen die Schritte zur Umsetzung der Ergebnisse verabredet werden. Hier kann auch ein Gesprächsprotokoll zur Dokumentation hilfreich sein (beispielsweise bei Themen mit hohem Konfliktpotenzial).
In Unternehmen mit einer ausgeprägten Feedbackkultur können sich die Gesprächspartner zum Abschluss über den erlebten Prozess und das Gespräch gegenseitig Feedback geben. Wird ein Folgetermin vereinbart, kann zusätzlich zur Bilanzierung ein kurzer Ausblick auf das nächste Gespräch erfolgen („Worum soll es gehen?“, „Was soll bis dahin erreicht werden/ wie soll es gemessen werden?“).
Methoden und Empfehlungen für professionelle Gespräche
Auch bei sachlicher Berechtigung muss darauf geachtet werden, dass Forderungen, raue Kritik, oder Abwertungen nicht die benötigte Offenheit für eine konstruktive Lösung fördern. In der Regel wird dadurch beim Gegenüber eher die Gegenwehr verstärkt. Im Folgenden werden das Werte- und Entwicklungsquadrat und im Anschluss einige Empfehlungen zur konstruktiven Gesprächsführung vorgestellt. Dies sind wirksame Mittel und Instrumente, die das Führen schwieriger Mitarbeitergespräche erleichtern. Sie können kombiniert oder voneinander losgelöst in den Gesprächen eingesetzt werden. Sie zielen im Wesentlichen darauf ab, Ressourcen verfügbar zu machen und Blockade- und Abwehrverhalten zu verhindern. Dies ist vor allem immer dann wichtig, wenn mit dem Gesprächspartner zukunftsgerichtete Vereinbarungen, Verhaltens- oder Einstellungsänderungen abgestimmt werden sollen.
Die Arbeit mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat
Wie lässt es sich einzelnen Mitarbeitern konstruktiv vermitteln, dass sie beispielsweise zu wenig Eigeninitiative zeigen, zu langsam arbeiten, in Teamsitzungen wie ein Platzhirsch auftreten, zu egoistisch oder unkooperativ im Team sind? Das Werte und Entwicklungsquadrat ist ein effektives Instrument für schwierige Gespräche, in denen es um Werte, Eigenschaften, Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen einzelner Mitarbeiter geht. Das Modell ist ursprünglich von dem Psychologen Paul Helwig als Werteviereck entwickelt und von dem Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun zum Werte- und Entwicklungsquadrat weiterentwickelt. Es bietet Anwendungsmöglichkeiten, die vom Coaching und der Führungskräfteentwicklung über Rhetorikkurse bis hin zu Mitarbeiterbeurteilungen reichen. Für schwierige Mitarbeitergespräche bietet es vor allem eine schnell erlernbare Methodik, um konstruktiv über problematische Verhaltensweisen zu sprechen und gleichzeitig geeignete Entwicklungsrichtungen aufzuzeigen.
Funktionsweise und Grundannahmen
Ein wesentliches Prinzip des Werte- und Entwicklungsquadrats ist bereits von Aristoteles beschrieben worden. Aristoteles sieht die wahren Tugenden immer dann hervortreten, wenn sie die „rechte Mitte“ zwischen zwei fehlerhaften Extremen einnimmt. Diese Mitte stellt eine Balance zwischen zwei Lastern dar (zuviel des Guten / zuwenig des Guten) und muss durch jeden Menschen individuell erarbeitet werden (siehe Abbildung 1).
Das Werte- und Entwicklungsquadrat beruht ferner auf der Vorstellung, dass es keine unveränderbaren „schlechten“ oder „bösen“ Eigenschaften per se gibt. Vielmehr sind die als problematisch wahrgenommen und störenden Verhaltensweisen lediglich „negative Übertreibungen“ verkümmerter positiver Eigenschaften und Tugenden (also: „lediglich etwas zu viel des Guten“). Dem folgend ist beispielsweise die problematische Eigenschaft „Geiz“ die negative Übertreibung der Tugend „Sparsamkeit“. Das Werte- und Entwicklungsquadrat der Abbildung 2 zeigt die Wechselwirkungen und Entwicklungsrichtungen zwischen zwei Tugenden und deren negativen Übertreibungen. Die Tugenden sind in diesem Modell positiv und erstrebenswert, wohingegen die negativen Übertreibungen Ausgangspunkte für persönliche und professionelle Entwicklungen sind.
Der Nutzen für schwierige Mitarbeitergespräche wird hier bereits deutlich: Die negative Übertreibung einer Tugend kann als Ausgangsbasis für eine positive Entwicklung des Mitarbeiters genutzt werden. Das Störende und Unerwünschte wird somit zu einem Bestandteil einer Entwicklung. Noch einmal: In den problematischen Eigenschaften liegen immer auch erhaltenswerte Bestandteile. Das Werte und Entwicklungsquadrat veranschaulicht, dass der erhaltenswerte Anteil des „Geizes“ die „Sparsamkeit“ ist. Durch den Fokus „Was ist hier lediglich etwas zu viel des Guten?“ muss das problematische Verhalten „Geiz“ beziehungsweise der ausführende Mensch nicht als schlecht betrachtet werden. Das Problem „Geiz“ wird als Ausgangspunkt seiner Entwicklung genutzt. Im Gespräch geschieht dies durch die anerkennende Hervorhebung seiner „Sparsamkeit“, die ja bereits vorhanden ist sowie der Verdeutlichung, dass zuviel davon kontraproduktiv ist. Der „Geiz“ - oder ein Teil davon - und somit auch der dazugehörige Mensch können gewürdigt und als wertvoll betrachtet werden, da sie ja schließlich die Basis der Tugend „Sparsamkeit“ beinhalten. Dies kann je nach Gegenstand des schwierigen Gesprächs den Verlauf erheblich erleichtern. Betroffene können sich auf einen Veränderungsprozess einlassen: Sie werden entlastet, erhalten Alternativen zur Blockadehaltung und müssen sich weniger verteidigen - ein echter Gewinn.
Ein weiterer Vorteil der Arbeit mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat liegt darin, dass sich die (neu) zu entwickelnden Tugenden als Entwicklungsziel aus der unerwünschten Eigenschaft ableiten lassen (siehe dazu das folgende Vorgehensmodell).
Vorgehensmodell: Anwendung bei problematischen Eigenschaften
Der erste Umgang mit dem Modell ist schnell erlernt. In der Regel reicht eine Stunde mit zwei bis vier beispielhaften Anwendungen aus. Bei der Arbeit mit dem Modell gibt es kein „richtig" oder „falsch", kein „besser" oder „schlechter". Was allein zählt ist die subjektive Zustimmung durch die Beteiligten. Das Instrument lässt sich während des Gesprächs gemeinsam mit dem Mitarbeiter benutzen. So lässt sich auch seine Sichtweise integrieren, was wiederum die Akzeptanz der „Arbeitsergebnisse“ steigert. Die Stärke des Wertequadrats liegt auch in dem Dialog, der durch die gemeinsame Arbeit mit dem Tool entsteht. Es lässt sich aber durchaus auch im Vorfeld eines schwierigen Mitarbeitergesprächs vom Gesprächsführer alleine anwenden. In diesem Fall kann die Arbeit mit dem Wertequadrat die eigene Sicht auf eine problematische Eigenschaft des Mitarbeiters ergänzen.
Ausgangspunkt für dieses Beispiel ist eine problematische Eigenschaft oder Verhaltensweise eines Mitarbeiters. Der Vorgesetzte kommt beispielsweise zu der Erkenntnis, dass ein Mitarbeiter passiv ist sowie keine Initiative und keine Verantwortung ergreifen will:
1. Schritt: Das „problematische“ Verhalten wird in das Feld „Negative Übertreibung (1)“ eingetragen.
2. Schritt: Die dazugehörige Tugend lässt sich mit der Leitfrage „Was ist der positive und erhaltenswerte Kern davon?“ identifizieren und in das Feld „Tugend (2)“ eintragen.
3. Schritt: Eine Tugend alleine kommt ohne ihre Schwestertugend jedoch nicht zur vollen Entfaltung. Um die dazugehörige Schwestertugend zu ermitteln, muss das Gegenteil des Ausgangsproblems „Negative Übertreibung (1)“ abgeleitet und in das Feld „Tugend (3)“ eingetragen werden. Also: „Was ist das tugendhafte und positive Gegenteil des Ursprungsproblems?“
4. Schritt: Schließlich kann aus der so ermittelten Schwestertugend (3) eine negative Übertreibung mit der Frage: „Was ist die negative Übertreibung der Tugend?“ erstellt und im entsprechenden Feld (4) festgehalten werden.
Mit dem erarbeiteten Werte- und Entwicklungsquadrat können die Gesprächsteilnehmer erkennen, dass der Mitarbeiter bereits über eine der zwei Schwestertugenden verfügt (2) - jedoch derzeit nur „etwas zuviel davon“ zeigt. Durch die Würdigung der darin enthaltenen positiven Eigenschaften, ist bereits eine gute Ausgangsbasis für das weitere Gespräch geschaffen worden. Die Entwicklungsrichtungen für den Mitarbeiter können in diesem Beispiel in zwei Richtungen gehen: Zum Einen muss erarbeitet werden, wie aus dem „zu viel des Guten“ etwas weniger - also eine Tugend - wird. Zum Anderen ist es lohnenswert die dazugehörige Schwestertugend (siehe Feld 3: Unternehmergeist, Aktivität und Risikofähigkeit) aufgebaut werden.
Zusätzliches Entwicklungspotenzial durch die Integration von Gegensätzen
Ein weiterer Fortschritt kann dann entstehen, wenn die „neue Qualität“ entdeckt wird, da damit erstaunliche Lernchancen verbunden sind. Wir alle neigen tendenziell dazu in eine der Extrempositionen (negative Übertreibungen) abzugleiten, wenn wir (noch) nicht gelernt haben, dass die dazugehörigen Schwesterntugenden beide gleichberechtigt nebeneinander existieren dürfen. Jemand der „Sparsamkeit“ und „Großzügigkeit“ für unvereinbar hält, ist den negativen Übertreibungen oft sehr nah, da er nur eine davon auslebt. Im Sinne einer echten Entwicklung geht es darum, zu erlernen, eine positive Spannung zwischen den zwei Tugenden (Sparsamkeit / Großzügigkeit) herzustellen. Spannung bedeutet in diesem Fall, dass beide Tugenden als zueinandergehörige Schwesterntugenden anerkannt und situativ unterschiedlich gelebt werden dürfen. Das heißt, beide haben eine echte Daseinsberechtigung und müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Dadurch kann vermieden werden, dass die Tugenden wieder in die negativen Übertreibungen „Geiz“ beziehungsweise „Verschwendung“ abdriften. Ein Mensch der bisher dem „Geiz“ gefrönt hat, lernt „Sparsamkeit und Großzügigkeit“ in einem sowohl-als-auch Verständnis situativ und kontextabhängig zu leben - ein echter Fortschritt, oder eine neue Qualität! Für das Beispiel in Abbildung drei könnte das langfristige Entwicklungsziel zum Erreichen der neuen Qualität daher lauten: „Die höfliche Bescheidenheit in der Passivität zu stärken sowie zu Lernen, dass sie nicht im Widerspruch zur Aktivität und Risikofähigkeit stehen muss, die es zu entdecken und zu entwickeln gilt.“ Der Mitarbeiter erreicht sein volles Potenzial indem er beide Tugenden integriert und dadurch die negativen Übertreibungen ablegen kann. Er lernt bescheidene Höflichkeit in eine positive Spannung zur aktiven Risikofähigkeit zu setzen.
Gesprächsdynamiken erkennen
Mit dem erarbeiteten Werte- und Entwicklungsquadrat kann auch die Dynamik schwieriger Mitarbeitergespräche reflektiert werden. Das Werte- und Entwicklungsquadrat vereinigt in der oberen Hälfte die positiven Tugenden in den orangen Feldern. Die negativen Eigenschaften finden sich unterhalb in den grauen Feldern. Gespräche und Diskussionen können sich regelrecht „festfahren“, wenn die Kontrahenten jeweils eine Tugend für sich in Anspruch nehmen und gleichzeitig dem Gesprächspartner die negative Übertreibung der Schwestertugend vorwerfen. Für das Wertequadrat in Abbildung 2 kann diese Gesprächsdynamik einfach dargestellt werden: Der eine Partner wirft dem anderen Partner „Verschwendungssucht“ vor. Dieser streitet dies vollkommen ab und besteht darauf, dass er nicht verschwenderisch, sondern lediglich „großzügig“ ist. Dafür ist das Gegenüber aber ein „Geizkragen“. Dieser betont nun wiederum seine „Sparsamkeit“ und streitet den „Geiz“ ab. Und so weiter.
Für den Gesprächsverlauf in Abbildung 3 ist nicht auszuschließen, dass der betroffene Mitarbeiter die Kritik des Vorgesetzten „Passiv und keine Initiative ergreifend“ nicht annehmen kann. Gerade in Fällen mit größerer Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild, fällt es den Betroffenen schwerer, stark abweichende Rückmeldungen vom eigenen Selbstbild zu akzeptieren. In diesen Fällen kann der Mitarbeiter die Kritik des Vorgesetzten unter Umständen abweisen. Er selbst sieht sich vielleicht eher als jemand, der „keine Schnellschüsse macht, höflich und bescheiden ist“. Anders kann es passieren, dass der Vorgesetzte mehr „Unternehmergeist, Aktivität und Risikofähigkeit“ von dem Mitarbeiter fordert. Der Mitarbeiter kann wiederum in dieser Forderung jedoch nur die für ihn nicht akzeptablen Werte „Aktionismus und Eifer“ erkennen, was die Forderung des Vorgesetzten abwertet und als Entwicklungsziel für den Mitarbeiter unattraktiv macht. Mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat, können diese Kommunikationsfallen aufgedeckt und zum Gegenstand des Gesprächs gemacht werden.
Empfehlungen zur konstruktiven Gesprächsführung
Die vorgestellten Regeln und Empfehlungen stammen aus dem Beratungsumfeld und sind mittlerweile fester Bestandteil vieler professioneller Kommunikationsseminare. Die Empfehlungen sind in jedem Gespräch anwendbar und nicht an die Anwendung des Werte und Entwicklungsquadrats gebunden.
Schlechte Botschaften und Emotionen: Müssen in einem Gespräch negative Botschaften und Informationen vermittelt (und gleichzeitig Veränderungen umgesetzt) werden, muss der Gesprächspartner Zeit zur emotionalen Verarbeitung der Nachricht haben. Wird dem Mitarbeiter beispielsweise die Schließung einer Filiale oder eine Versetzung angekündigt, ist es nicht realistisch, mit dem Betroffenen im nächsten Atemzug harte Fakten und weitere konkrete Maßnahmen abzustimmen. Oftmals scheitern an dem asynchronen Emotionsverlauf (= unterschiedliche Phasen zwischen (1) Informationsaufnahme, (2) -verarbeitung und anschließender (3) Normalisierung) wichtige Verhandlungen. Ein weiteres Beispiel: Ein Vorgesetzter weiß bereits einige Tage von der Versetzung seines Mitarbeiters. Er möchte nun im Rahmen eines Gesprächs mit dem Betroffenen über die Konsequenzen verhandeln und vermittelt die Botschaft aus der Phase (3) heraus. Der Mitarbeiter ist jedoch emotional noch nicht so weit und benötigt Zeit zur angemessenen emotionalen Verarbeitung, da er sich in der Phase 1 befindet. Wird diese Zeit nicht gewährt, wird es den Beteiligten unmöglich, konstruktiv in einen Dialog zu treten. Die unterschiedlichen Phasen des asynchronen Emotionsverlaufs sind insbesondere in schwierigen Gesprächs- und Verhandlungssituationen zu berücksichtigen.
Die „innere Haltung“ des Gesprächsführenden: Die innere Haltung und Einstellung des Gesprächführers hat einen wesentlichen Einfluss auf Qualität und Erfolg des Gesprächs. Viele Programme zur Führungskräfteentwicklung setzen an diesem Punkt an. Auch neue Forschungen des MIT in Boston greifen dieses bisher wenig erforschte Terrain auf und stellen fest: Die innere Haltung kann in ihrer Wirkung bei der Steuerung sozialer Prozesse letztlich über die der Gesprächstechniken hinausgehen (Otto Scharmer 2009). Beispielsweise lässt sich darüber erklären, wie Workshopleiter mit formell identischer Ausbildung (Methodenrepertoire) völlig andere Erfolge erzielen.
Im Wesentlichen geht es dabei um die Überzeugung, sich selbst und das Gegenüber in aller Unterschiedlichkeit akzeptieren zu können. In der Transaktionsanalyse wird dieser Zustand als „Ich bin okay - Du bist Okay“ Haltung beschrieben. Ziel ist es, aus dieser Einstellung heraus (schwierige) Gespräche zu führen und sich auf das Gegenüber einzulassen, da so echte Lösungen und Veränderungen möglich werden. Dieser Punkt ist jedoch schwer zu realisieren, weil die „Arbeit“ an der inneren Haltung die Bereitschaft und die Ressourcen zur Selbstreflektion voraussetzt. Ein erster und wiederum leicht zu realisierender Schritt liegt jedoch darin, dem Gegenüber respektvoll gegenüberzutreten sowie seine Schwierigkeiten, seine Bemühung und Fähigkeiten zur Problemlösung ernst zu nehmen - auch wenn im momentanen Verhalten des Mitarbeiters davon wenig zu erkennen sein sollte.
Geteiltes Verständnis herstellen: Es ist ein Fehler davon auszugehen, dass wir alle das gleiche Verständnis von einer Aussage oder einem Begriff oder auch einem Ziel haben. Beispielsweise kann die Führungskraft ein anderes Verständnis von Effizienz oder guter Zusammenarbeit als der Mitarbeiter haben. Daher sollte die Entwickelung eines gemeinsam geteilten Verständnisses zum Thema oder Ziel fester Bestandteil des Gesprächs werden. (Was verstehen Sie darunter? Was gehört für Sie alles dazu?). Ausgangspunkt kann dafür der gegenseitige Austausch sein. Das Ziel ist die Herstellung eines gemeinsam geteilten „Bildes“ oder ein gemeinsames Verständnis von einem Sachverhalt, welches wiederum die Basis für Absprachen und die Schaffung von Verbindlichkeit ist.
Die VW Regel: Vorwürfe (V) in Wünsche (W) verwandeln. Anstelle von „Herr Müller, Sie sind unkooperativ“ kann formuliert werden: „Herr Müller, ich wünsche mir, dass Sie in Zukunft kooperativer sind“. Vorwürfe lassen dem Gesprächspartner kaum andere Möglichkeiten als sich zu verschließen. Wünsche hingegen sind zukunftsgerichtet und haben weniger Bedrohungspotenzial.
Feedback - bitte handlungsrelevant: Aussagen mit allgemeinen Zuschreibungen („Sie sind unkooperativ!“) helfen dem Mitarbeiter ebenso wenig wie der Führungskraft. Solche Aussagen können leicht als undifferenzierter Angriff auf die eigene Person verstanden werden, da kein konkreter Bezug zu einer Situation oder einem Arbeitsergebnis hergestellt werden kann. Die Folge können Gegenangriff oder Verteidigung sein. Daher sollten die Auswirkungen des problematischen Verhaltens des Mitarbeiters so konkret wie möglich auf das Arbeitsergebnis oder auf die beteiligten Kollegen beschrieben werden (am besten mit nachvollziehbaren Beispielen): „Bei der Erstellung des Jahresabschlussberichts habe ich Sie als unkooperativ in der Zusammenarbeit mit Kollegen Schmid erlebt“.
Kombination der VW Regel mit handlungsrelevantem Feedback: „Herr Müller, ich wünsche mir, dass Sie in Zukunft kooperativer bei der Erstellung des Jahresabschlussberichts sind und mit Herrn Schmid intensiver zusammenarbeiten.“
50 Prozent Regel: Der Effekt von einseitigen Monologen durch den Gesprächsführer ist begrenzt. Für die Phasen der Problemlösung in einem schwierigen Gespräch sollten daher mindestens 50 Prozent der Energie zur Problemlösung vom Mitarbeiter aufgewendet werden. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass gemeinsam Lösungen entwickelt werden, die nachhaltig sind und vom Gegenüber akzeptiert sowie umgesetzt werden.
Literatur
- Gührs, Manfred/ Nowak, Claus (2006): Das konstruktive Gespräch: Ein Leitfaden für Beratung, Unterricht und Mitarbeiterführung mit Konzepten der Transaktionsanalyse, Limmer
- Prior, Manfred (2009): MiniMax: 15 minimale Interventionen mit Maximaler Wirkung, Carl-Auer-Systeme Verlag
- Schulz von Thun, Friedemann (1989): Miteinander Reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, rororo.