Change Management auf dem Wirksamkeitsprüfstand

 

Dr. Sonja Radatz, Geschäftsführung, IRBW
Autorin: Dr. Sonja Radatz,
Geschäftsführung, IRBW

Change findet meist als „Projekt“ neben der Unternehmenswirklichkeit statt, und zieht sich quälend über Monate oder Jahre hin, meist konzipiert als „gesetzte neue Wirklichkeit“, an die sich die Mitarbeiter bitteschön sehr rasch gewöhnen sollten. Wirksamkeit? Davon spricht angesichts der marginalen Ergebnisse mit zu großem Time Lag kaum mehr jemand. Mit ihrem Relationalen Wirksamkeitsmodell setzt Sonja Radatz genau an diesem Punkt an - und verbindet darin konsequent Unternehmensgestaltung, Unternehmensführung, Führung, Management, Change Management und die Schaffung und Sicherung von Wettbewerbsvorteilen in den Standards der Lernenden Organisation.

1. „Changen“ Sie noch? Oder sind Sie schon auf dem Weg in die erfolgreiche Unternehmensgestaltung?

Muss Change sein? Mit dieser Frage habe ich mich in den letzten Monaten immer wieder beschäftigt. Meine Antwort ist: Nein – wenn jeder einzelne Mitarbeiter sein Augenmerk kontinuierlich auf die kleinen Veränderungen richtet, die er in seinem Umfeld wahrnimmt, und diese stets in Beziehung zum eigenen Tun setzt – und wenn es dem Unternehmen als Ganzes gelingt, seinen Wirkungskreislauf so zu standardisieren, dass sich der Erfolg „automatisiert“ einstellt und das Unternehmen all seine Kraft bereits in der nächsten Dimension sinnvoll nutzen kann.

Würde ich dies dann noch als „Change“ bezeichnen? Wohl kaum - viel mehr als erfolgreiche Unternehmensgestaltung.

Um diesen Kreislauf im Unternehmen zu etablieren und erfolgreich zu leben, braucht es meiner Erfahrung nach nicht Jahre an Zeit, sondern Klarheit und Konsequenz – die Entschiedenheit, etwas anderes zu tun, immer mit dem Fokus auf die Sicherung der Ergebnisse, die das Unternehmen braucht, um erfolgreich zu werden oder zu bleiben.

Das Relationale Wirksamkeitsmodell habe ich entwickelt, um alle Aspekte Relationaler Wirksamkeit im Unternehmen in einem Modell zusammen zu bringen:

  • die Neudefinition des Unternehmens und die Neugestaltung der Organisation (Zero Based Designing)
  • Relationale Unternehmensentwicklung
  • Relationales Management
  • Aufbau der Lernenden Organisation
  • den Sprung in die nächste Dimension.

2. Zusammenführung aller Aspekte Relationaler Wirksamkeit

Viele Jahre lang habe ich daran gearbeitet, die verschiedenen Aspekte Relationaler Wirksamkeit in ein Modell zusammen zu führen. Warum? Weil die Trennung zwischen „Change“ und „Unternehmensalltag“ die parallele Arbeit in „Management und Führung“ und an der „Lernenden Organisation“, die Schaffung unterschiedlicher Welten mit einer „alten“ und einer „neuen“ Dimension des Unternehmens dafür sorgt, dass das Unternehmen nie fokussiert zum Arbeiten kommt und sich daher viel zu oft verzettelt. Wird die Kraft der Organisation und all ihrer Mitglieder gebündelt auf den Umgang mit den vielfältigen Herausforderungen, die jeden Tag im Unternehmen und außerhalb des Unternehmens erlebt werden, und ist der Fokus stets darauf gerichtet, das Aktuelle erfolgreich zu stabilisieren, um wieder Zeit und Muße für die Beschäftigung mit der Innovation auf der nächsten Dimension „frei zu schaufeln“, dann spielt das Unternehmen nicht nur unablässig in der ersten Liga – es führt diese an, es ist unschlagbar, weil es immer schon wieder einen Schritt weiter als all die Branchenkollegen ist.

3. Das Relationale Wirksamkeitsmodell

Im Relationalen Wirksamkeitsmodell hebe ich erstmals die in der Vergangenheit künstlich hergestellte gedankliche Trennung zwischen „Management und Führung“ auf der einen Seite und „Change Management“ auf der anderen Seite auf und führe die Elemente der Organisationsgestaltung (traditionell „Organisationsentwicklung“ genannt), strategischen Team- und Unternehmensführung, Management und operative Führung zusammen: Denn es ist aus meiner Sicht weder einzusehen noch sinnvoll, warum Change Management weiter „neben dem Unternehmensalltag“ herlaufen soll und völlig abgehobene Change-Prozesse erzeugt, die von Führungskräften wie Mitarbeitern als zusätzliche Last zu ihrem ohnehin schon vollen Kalender empfunden werden (mal ganz abgesehen davon, dass sie nicht die gewünschten Ergebnisse bringen).

Das relationale Wirksamkeitsmodell

3.1. „Neu gedacht“

Wissen Ihre Mitarbeiter, was Sie denken? Welchem großen umfassenden Bild Sie folgen? Wovon Sie glauben, dass es funktioniert bzw. keinen Sinn (mehr) macht, zu verfolgen? Was bei Ihnen im Fokus steht – und was überhaupt nicht?

Was Sie denken und was Sie (konsequent, wenn auch vielleicht intuitiv und nie kommuniziert) verfolgen: Das schafft die Richtschnur für die Definition von „Leistung“ im Unternehmen. Denn Leistung ist aus relationaler Sicht selbstverständlich kein „eindeutig definierter Begriff“, sondern differiert von Unternehmen zu Unternehmen, von Führungskraft zu Führungskraft – je nach gefordertem Ergebnis, Situation und Erfahrungen des Vorgesetzten.

Was Sie denken und was Sie (konsequent, wenn auch vielleicht intuitiv und nie kommuniziert) verfolgen: Das schafft die Richtschnur für die Definition von „Leistung“ im Unternehmen. Denn Leistung ist aus relationaler Sicht selbstverständlich kein „eindeutig definierter Begriff“, sondern differiert von Unternehmen zu Unternehmen, von Führungskraft zu Führungskraft – je nach gefordertem Ergebnis, Situation und Erfahrungen des Vorgesetzten.

Um die Grundlage dafür zu schaffen, dass Ihr „Gedachtes“ überhaupt im Unternehmen einen Niederschlag findet, muss es so formuliert werden, dass es anschlussfähig ist. Im Gegensatz zur sonst üblichen Salamitaktik („ich fasse meine neuen Gedanken jeweils in einzeln verpackte Scheibchen so zusammen, dass ich meine Mitarbeiter nicht ,überfordere‘), die allzu häufig bewirkt, mit Neuem so lange zu warten, bis es in Hinblick auf dessen Innovationsgrad schon dreimal eingemottet hätte werden können) arbeite ich gerne mit Vorständen und Geschäftsführern daran, die neuen Gedanken so auf den Punkt zu bringen, dass sie ausgereift, konsistent in Voraussetzungen und Folgewirkungen sowie anschlussfähig an die aktuelle Welt der Mitarbeiter sind (an das, was sie erleben und kennen – weniger an das, wie sie gerne weiter arbeiten möchten). (siehe Abb. 2)

Gedachtes auf den Punkt bringen

Wenn Gedachtes auf den Punkt gebracht ist, dann wissen die Führungskräfte und Mitarbeiter ganz klar und in jeder Situation, welches Optimalbild ihr Vorgesetzter im Kopf hat. Dabei stellt dieses Bild gleichzeitig eine Handlungsmaxime für jeden aktuellen Augenblick dar und ist zugleich das „Leitbild“, der Fokus, der Punkt auf dem Horizont, das leitende Bild, das der Vorgesetzte jeden Tag anstrebt. Was bedeutet: Jeden Tag wird dieses Optimalbild so gut wie aufgrund der aktuellen „Noch-Rahmenbedingungen“ („Wir haben noch immer zu wenige passende Mitarbeiter“, „Wir haben noch nicht die Ressourcenausstattung, die optimal wäre“, „Wir haben noch immer keinen neuen Konzernchef, der unsere neue Ausrichtung verabschieden kann“ etc.) oder „Schon-Rahmenbedingungen“ möglich („Wir müssen uns schon jetzt mit dem Aufbau der neuen Märkte beschäftigen“, „Wir müssen schon jetzt die Abteilung für die kommenden Ergebnisvorgaben neu gestalten“, „Wir müssen parallel das Alte abschließen und schon das Neue leben“ etc.) gedacht – und das Optimalbild im Kopf wird nicht zum „Schmalspur-Optimalbild“ degradiert.

3.2. „Gesagt“

Woran messen Sie konkret Ihre Mitarbeiter - welche Ergebnisse brauchen Sie regelmäßig, also monatlich? Antworten Sie jetzt bloß nicht spontan mit „jedes Jahr um 10% mehr“. Ich möchte klare Ergebnisse hören – Ergebnisse, an denen die Mitarbeiter selbst jeden Tag erkennen können, ob sie erfolgreich sind oder nicht. Antworten Sie daher bloß nicht mit irgendwelchen EBITDA- oder AOP- Zahlen oder „Verbesserungen aufgrund des Plans vom Vorjahr“ oder anderen Kriterien, die ich jeden Tag von Konzernen präsentiert bekomme. Wissen Ihre Mitarbeiter – jeder einzelne von ihnen! – welche Ergebnisse sie regelmäßig und verlässlich erbringen müssen, damit Sie als direkter Vorgesetzter zufrieden sind? Welchen Rahmen – auch qualitativ formuliert – sie einhalten müssen, aber auch nicht überschreiten dürfen?

Ich unterscheide durchaus zwischen „handlungsorientierten Zielen“ („Tun Sie dies“ – ohne ein bestimmtes Ergebnis zu erwarten; es wird also das „Mittel“ abverlangt – und nicht der „Zweck“), ergebnisorientierten Zielen auf einer abstrakten Ebene und ergebnisorientiert formulierten verständlichen Zielen, die im gesamten Unternehmen (auf allen Ebenen!) Klarheit darüber erzeugen, was genau geliefert werden muss. Während die ersteren beiden meiner Erfahrung nach mit einiger Wahrscheinlichkeit ins Leere gehen („Ich habe alle 8 Messen besucht – wie Sie mir gesagt haben. Bloß waren dort zu wenig Besucher“ oder „Wir haben die neue Ware komplett ausgelegt – bloß kam sie einfach nicht gut an und blieb daher liegen“) bzw. überhaupt nicht verstanden und dann auch nicht „getan“ werden (letzthin von einer reschen Berliner Teilzeitverkäuferin gehört: „Wenn Sie mir jetzt noch verraten, wie ich hier am Alex (Alexanderplatz) EBITDA erzeugen kann oder wie das Ding da heißt, dann mach ich das auch gerne“).

Beim „Sagen“ kommt es meines Erachtens aber nicht nur auf das „WAS“ an, sondern auch und vor allem auf das „WIE“:

  • Gleichzeitigkeit: Der Rahmen sollte für alle Betroffenen des Systems (z.B. alle direkten Mitarbeiter) zum gleichen Zeitpunkt kommuniziert werden, um Gerüchte, unterschiedliche Geschwindigkeiten im neuen Tun und unterschiedlich hohe Wertschätzung zu vermeiden. Damit ist die Verkündung des Rahmens meines Erachtens immer eine Veranstaltung mit allen direkten Mitarbeitern, und kein Einzelgespräch.
  • Begründung (Ausblick, warum): Ein klarer Rahmen wirkt schon für sich, das ist richtig. Wenn dieser jedoch in Wahrnehmungen eingepasst ist, welche die Mitarbeiter auch teilen, und eine „logische Folge“ z.B. auch von Konzernentscheidungen ist, dann entsteht eher Verständnis bei den Mitarbeitern, als wenn der Rahmen „willkürlich gesetzt“ erscheint.
  • Folgerungen und Nicht-Mehr-Rahmen: Gerade wenn das Team bzw. das Unternehmen eine hinreichend lange Geschichte hat, dann sind ganz viele „zu erbringende Ergebnisse“ und „zu beachtende Rahmenbedingungen“ in den Köpfen Einzelner und in den Geschichten des Teams/Unternehmens verankert. Die Mitteilung, „was nicht mehr gilt“, ist meiner Erfahrung nach hier sehr hilfreich – ebenso die Folgerungen für die Betreffenden: „Das heißt...“.

3.3. „Gehört“

Was Sie sagen und was Ihr Team hört, sind zweierlei Welten. Dies offenbart sich Ihnen sofort und unmittelbar, wenn Sie ein Offenes Forum (Radatz, 2009) an Ihre Rahmen-Information anschließen: 15 Minuten schriftliche Diskussion am leeren Flipchart, meiner Erfahrung nach am besten in Kleingruppen, welche die Gesamtgruppe in ihren unterschiedlichen Perspektiven, Hierarchieebenen und auch Meinungsverschiedenheiten ausgezeichnet abbilden, indem Sie möglichst viele Unterschiede in jeweils eine Gruppe packen. Wir nennen diese Kleingruppen Maximixes.

Die Fragestellungen dazu, die allen Maximix-Gruppen im Raum gleichzeitig präsentiert werden:
1. Was haben wir Relevantes gehört?
2. Was bedeutet das Gehörte für uns?
3. Welche Verständnisfragen haben wir noch?
So manche Führungskraft aus meinem Kundenkreis hatte schon ein großes Aha-Erlebnis, als sie mit dem Unterschied zwischen „Gesagtem“ und „Gehörtem“ in ihrem Mitarbeiterkreis konfrontiert wurde. Hier macht es aus meiner Sicht keinen Sinn, einen Streit um „die Wahrheit“ zu beginnen, sondern gilt es vielmehr nochmals – vielleicht mit anderen Worten? – das zu erklären, was Sie zuvor gemeint hatten.

3.4. „Verstanden“

„Verständnis“ beinhaltet das Wort „stehen“: Ich stelle mich woanders hin und nehme dort Raum ein. Verständnis beinhaltet daher meines Erachtens Aktivität – ich „tue“ etwas anderes. Schon im Meeting, unmittelbar nach Präsentation des neuen Rahmens und der Überlegung im offenen Forum, was das Neue für die Mannschaft zu bedeuten hat und wie es in den Kontext einzureihen ist, kann „Verstehen“ in seiner ersten Facette erzeugt werden, indem die Mannschaft gemeinsam am neuen Selbstverständnis, am neuen gemeinsamen Bild des Unternehmens (bzw. des Teams) arbeitet.

„Wie wollen wir uns optimaler Weise in Zukunft innerhalb dieses neuen Rahmens beschreiben? Und wie wollen wir von anderen (z.B. Kunden, „dem Markt“, „dem Konzern“) beschrieben werden?“ Diese beiden Fragen werden in den gleichen Maximix-Gruppen wie in der Runde zuvor binnen 15 – 20 Minuten am Flipchart erarbeitet. Statements werden dazu gesammelt: Dabei gibt es kein „Richtig“ und kein „Falsch“, sondern alle Statements haben ihre Berechtigung. Nach der Phase des Sammelns folgt die Phase der Bewertung: Jede Maximix-Gruppe gibt als Gruppe je einen Punkt zu jedem Statement – aber nur dann, wenn alle Mitglieder der Maximix-Gruppe diesen Punkt auch bereit sind, in der Praxis tatsächlich zu leben. Jede Gruppe beginnt mit der Bewertung am eigenen Flipchart und geht dann zu den jeweils anderen Flipcharts weiter, bis alle Flipcharts bewertet sind. Nur jene Punkte, die von allen Gruppen – also zu 100% – mit einem Strich für „lebbar“ (mit Commitment!) befunden wurden, werden zum Selbstverständnis der Gruppe zusammengefasst. Manche Unternehmen nennen dieses gemeinsame Selbstverständnis auch „Leitbild“ – ein schöner Begriff aus meiner Sicht, leider ist er nur durch die traditionelle Vorgehensweise des „irgendeine zusammengewürfelte kleine Gruppe aus dem Unternehmen hat das ausgearbeitet und der CEO hat es dann verabschiedet“ ein bisschen in die Schieflage geraten und trägt in diesem traditionellen Vorgehen natürlich mitnichten zu irgendeinem Verständnis der Mannschaft bei.

Das Selbstverständnis wirkt – wird es tatsächlich wie oben ausgearbeitet und sofort vor Ort verabschiedet – meiner Erfahrung nach auf phänomenale Art und Weise: Denn da es gemeinsam erarbeitet wurde, braucht es nicht „gelernt“ werden, sondern es fließt in den Alltag ein und spiegelt sich dort verbindend in den gemeinsamen Sichtweisen.

Die zweite Facette des „Verstehens“ wird meiner Erfahrung nach erst später sichtbar – und zwar dann, wenn Sie den Rahmen, den Sie formuliert haben und jeden Monat verlässlich erfüllt brauchen, auch bei jedem direkten Mitarbeiter – und diese wieder daraus abgeleitet bei ihren – einfordern. Erst dort, erst in der Minute, in der Sie „wie das Schicksal an die Tür“ klopfen, entsteht die Betroffenheit der Einzelnen bezüglich

  • der Ernsthaftigkeit Ihrer Forderung
  • des Umfangs Ihrer Forderung
  • und der Art und Weise, in der Sie Ihre Forderung beschreiben.

Typische Ausreden wie „Ich dachte, das gilt nicht sofort“ oder „Es hat eben im letzten Monat so viel geschneit, dass wir weniger Umsatz gemacht haben“ oder „uns sind 2 Kunden weggebrochen“ gelten im Relationalen Ansatz nicht – bedeutet es doch, ohne Anweisungen und sehr selbstverantwortlich eigene Konzepte, Ansätze und Wege zu finden, den Rahmen auszufüllen – immer im Trial und Error-Verfahren, denn was nicht funktioniert, wird ganz einfach über Bord geworfen.

Und wenn der Rahmen nicht ausgefüllt wird – wenn die Ergebnisse nicht erbracht werden? Dann wird im Relationalen Ansatz sofort Konsequenzenmanagement gesetzt: Die Führungskraft wird zum Sparringpartner und Coach (Radatz, 2001; Radatz, 2006) für die Arbeit an einem neuen Konzept und Plan B, C und D, für die jeweils der Mitarbeiter verantwortlich ist; und die Führung wird enger, d.h. das nächste Gespräch findet dann nicht erst einen Monat später statt, sondern z.B. wöchentlich oder täglich – bis die Notwendigkeit, Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit des Erbringens von Ergebnissen „verstanden“ im Sinne von „getan“ wird, oder der Einzelne für sich erkennt, dass hier offensichtlich der Topf nicht zum Deckel passt und er den Rahmen nicht ausfüllen wird (ich schreibe hier bewusst „wird“ – denn ich möchte mich der Diskussion des „Wollens“ vs. „Könnens“ entheben).

3.5. „Einverstanden“

„Was aber, wenn die Mitarbeiter nicht mitmachen? Wenn sie in den Widerstand gehen, oder noch schlimmer: Wenn sie einfach so tun, als wären sie dabei und dann erst viel später klar wird, dass sie das Ganze nicht mittragen?“

Diese Frage höre ich immer wieder, wenn es um die Auseinandersetzung mit dem Relationalen Ansatz geht. Die Antwort darauf ist sehr einfach: Es ist nicht möglich, „so zu tun als ob“, wenn Sie schon nach einem Monat beginnen, die Ergebnisse zu ernten. Der Relationale Ansatz fordert also von jedem die faktische Entscheidung ab, das Angebot (den Rahmen) anzunehmen oder abzulehnen – und nicht „wie ein Tourist“ diesen Rahmen erst mal anzusehen und dann im Laufe des Jahres zu entscheiden, ob er denn überhaupt, oder vielleicht zum Teil, oder gar nicht... und dann wird man auch noch sehen... (und der dann hofft, dass alles nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht ist).

Ich empfehle jedem, die Sache heiß zu halten und nicht abkühlen zu lassen. Wie kann das Optimalbild ein Optimalbild sein, wenn es dann doch abgeschwächt wird, weil Kompromisse gemacht werden, die es an dieser Stelle nicht braucht, die unangemessen sind (die Mitarbeiter haben eine ganz andere Perspektive des Unternehmens als Sie) und die dazu führen, dass Sie die soziale Grundverantwortung des Unternehmens („Das Unternehmen hat jene Ergebnisse zu erwirtschaften, die dazu führen, dass es den Mitarbeitern und deren Familien gut geht“) vielleicht nicht mehr erfüllen können?

Hier hat sich die „Heuerkarte“ meiner Erfahrung nach als sehr hilfreich erwiesen: Schon in der Veranstaltung zur Erarbeitung des neuen Selbstverständnisses werden an die direkten Mitarbeiter (und von diesen wieder an deren eigene) in einem Ritual tatsächlich Karten ausgegeben, auf denen vermerkt ist, dass der Betreffende die Karte an seinen Vorgesetzten zurück gibt, wenn er tatsächlich „anheuert“ und aufs Schiff geht (siehe auch Zintz-Volbracht, 2012). „Aufs Schiff gehen“ bedeutet, das alte Schiff und auch das Land zu verlassen und im neuen Gewässer auf dem neuen Schiff zu segeln und zu arbeiten. Dieser Schritt wird aktiv vom Mitarbeiter gesetzt – das heißt, er heuert an; und wenn er nicht anheuert, dann ist er auch nicht dabei, wenn das Schiff ablegt. Auch hier müssen dann Konsequenzen vom Vorgesetzten gesetzt werden, denn natürlich kann das Schiff nicht ewig warten, bis es ablegt (und diesen Termin sollten Sie festlegen – er sollte jedenfalls vor Ende des Monats sein, in dem Sie zum ersten Mal die Ergebnisse prüfen).

3.6. „Getan“

Wird das Neue getan? Oder gehen die Mitarbeiter immer noch in die alte Wohnung „duschen“? Es mag mühsam sein, gleich nach dem „Umzug“ handlungsfähig zu werden, aber es ist meines Erachtens notwendig, um keine Brüche im Unternehmen zu erzeugen.

In der Phase nach dem Umzug ist die Führungskraft gefordert, sowohl das Team als auch den Einzelnen in jeder Handlung, in jeder Fragestellung, in jedem Meeting zu hinterfragen: „Sind wir auch tatsächlich im „Neuen“? Passt das, was wir gerade tun und das, wie wir es tun, zu dem, was wir gemeinsam verabschiedet haben? Bewegen wir uns noch im Rahmen – und füllen wir diesen voll aus?“. Das „Tun“ passiert im ganzen Unternehmen – und die Führungskraft ist dabei insofern Vorbild, als sie das Neue stringent leben muss und gleichzeitig darauf achten muss, dass auch die anderen in ihrer Interaktion das Neue tun.

Hier haben wir – ob der Brisanz und Wichtigkeit genau dieses Themas für den Erfolg des Neuen – die beiden Instrumente der Unternehmensbegleitung und der Führungsbegleitung entwickelt: Im Unterschied zu einem „Coaching“ geht es dabei darum, rund um die Uhr proaktiv zu fordern, dass der nächste jeweils mögliche Schritt gesetzt wird, um das neue Optimalbild lückenlos zu leben – und die Unternehmensleitung gleichzeitig zu fordern, immer wieder ihr Handeln zu durchforsten, um Widersprüche und das „Duschen in der alten Wohnung“ bewusst zu machen und in allen Facetten neu zu gestalten. Dennoch wird durchgängig mit Coaching-Fragen gearbeitet, denn die Verantwortung für das Tun des Neuen bleibt ja bei der Unternehmensleitung. Auch bei der Führungsbegleitung – hier mit dem Fokus auf der Begleitung der Führungskraft und nicht des Unternehmens – wird genauso gearbeitet. Ein sehr effektives Instrument, das jedenfalls – wenn nicht auf externe Unterstützung zurück gegriffen wird – von jemandem im Unternehmen wahrgenommen werden muss, der auf gleicher Augenhöhe mit der Unternehmensleitung und den betreffenden zentralen Führungskräften arbeitet.

Hier liegt aus meiner Sicht der Schlüssel für die echte Innovation, für die Kehrtwende, für die Umsetzung des Optimalbilds: Denn hier geht es darum, mitten in den Widrigkeiten des Alltags, mitten in jahre- und jahrzehntelangen Mustern konsequent und lückenlos etwas anderes zu tun. Ein Boost für das Optimalbild!

Das Optimalbild verändert sich dabei bei meinen Kunden stets im Laufe der Monate und Jahre insofern, als zwar - wie bei einer Google Map Landkarte - der ausgewählte Kontext weiter gezeigt wird, Sie aber im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß „immer näher zoomen“ und vielleicht den Fokus innerhalb des Grundkontexts verfeinern bzw. verändern (z.B. haben Sie zu Beginn vielleicht nach den „Apotheken“ gesucht, weil sie meinten, dort fündig zu werden, und beginnen dann, vielmehr nach den „Lebensmittelfilialen“ zu suchen: Es verschieben sich Ihre Sichtweisen über Märkte, über sinnvolles Vorgehen, über den Fokus der Aufmerksamkeit in bestimmten Prozessen etc. Immer jedoch werden Sie merken, dass das Optimalbild weiter den Rahmen Ihres Handelns bestimmt, ähnlich wie bei der russischen Babuschka-Puppe, in der vielleicht die jeweils kleinere Puppe ein wenig anders aussieht als die größere, aber dennoch in die größere „passt“).

3.7. „Ergebnisse erzielt“

„Den Rahmen voll auszufüllen“ muss noch nicht unbedingt bedeuten, dass bewusst Ergebnisse erzielt werden. Das bewusste Erzielen von Ergebnissen erfordert nämlich meines Erachtens die Auseinandersetzung

  • mit Wirkungszusammenhängen,
  • mit den Ergebnissen, die mit den angewendeten „Konzepten“ und Vorgehensweisen erreicht werden („Macht es dann überhaupt noch Sinn, wenn wir auf Messen gehen?“)
  • und mit dem Setzen bewusster Trials und Errors, um herauszufinden, was zum Ziel führt (und daher weiterhin getan werden sollte) und was nicht zum Ziel führt (und daher aussortiert wird).

Das „Er war stets bemüht“ ist damit vom Tisch, weil es eben für das Unternehmen und seine Ergebnisse keine Relevanz hat. Hier entsteht Entrepreneurship - unternehmerisches Denken - beim Einzelnen, auf jeder Ebene, in jedem Verantwortungsbereich.

Das Relationale Instrument des „Beispiele machen Schule“ eignet sich wunderbar, um im eigenen Verantwortungsbereich, im „Unternehmen im Unternehmen“ immer wieder festzustellen, ob das Getane überhaupt Sinn macht (also zum Ergebnis führt). Dabei wird ein neues Vorgehen – z.B. direkte Ansprache des Kunden vor dem Geschäft mit einem kleinen Geschenk – sehr genau vorweg geplant und bei ganz wenigen Fällen ausprobiert, und dann bewusst ausgewertet, inwiefern es zur Erfüllung des eigenen Rahmens beigetragen hat. Trägt es bei – wunderbar, dann kann das Vorgehen ausgeweitet werden auf einen größeren Bereich und hier wieder bewusst beobachtet und ausgewertet werden. Trägt es nicht bei – danke, das war ́s. Vielleicht bei anderer Gelegenheit oder mit einem etwas veränderten Vorgehen – aber in dieser Konstellation (Zeitpunkt, Inhalt, Zielgruppe, konkretes Vorgehen) funktionierte es offensichtlich nicht (auch das sollte exakt festgehalten werden, um dem „Das haben wir doch alles schon probiert“ geschickt zuvorzukommen).

3.8. „Gelernt“

Damit wären wir auch schon beim „Festhalten“: Spätestens dort, wo Beispiele Schule machen und die Beobachtungen aufgeschrieben werden – und danach auch im Unternehmen ausgetauscht werden (ja, auch dafür brauchen Sie „Events“, also Meetings des Austauschs, des „voneinander Lernens“!) entsteht die Lernende Organisation wie von selbst. Hier ist wieder die Leitung gefragt, geschickt ein Meeting-, Verbreitungs- und Standardisierungssystem anzubieten, das zum Unternehmen passt – und natürlich kann dies wunderbar von allen Beteiligten gemeinsam ausgearbeitet werden (Radatz, 2010). Ziel ist es, mit Trial und Error, mit „Beispiele machen Schule“ und mit einem gezielten System der Lernenden Organisation – gesichert durch laufendes Abholen der Ergebnisse durch die direkten Vorgesetzten – einen Sockel der Standardsicherung zu erreichen, welche die Ergebnisse praktisch „automatisch“ erzielt, weil immer wieder konsequent das „Richtige“ (vielmehr „Passende“) getan und konsequent das „nicht mehr Passende“ ausgesiebt wird.

Damit verschiebt sich grundlegend der Fokus der Führungskräfte: Haben sie sich bisher jeden Tag damit beschäftigt, in den „Wirren des Alltags“ zumindest das geforderte Ergebnis zu erwirtschaften, also jeden Tag auf einer operativen Ebene den „Wahnsinn zu wuppen“ (mit dem Bild eines meiner Kunden beschrieben: „Wir haben uns jeden Tag rein damit beschäftigt, wie wir es heute wieder schaffen, dass alle bestellten Autos auf die Straße kommen“), bekommen sie nun Luft für strategisches Denken („Die Autos gehen nun endlich gesichert und automatisiert auf die Straße, darum brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern!“): Denn sobald das Tun des Optimalbilds zum Standard wird, sobald die Automatismen laufen, weil immer wieder entrümpelt und neu gedacht wird, kann das Unternehmen in eine neue Dimension gehen – den nächsten großen Schritt tun.

3.9. Der Start in die nächste Dimension: Und nochmals 2.1. „neu gedacht“...

Sobald die Ergebniserzielung im Alltag „von selbst läuft“, kann sich das Unternehmen selbst weiter entwickeln und es kann ein neues Optimalbild entstehen, in dem der nächste Kreislauf startet. Dies jedoch auf der nächsten Dimension, indem vom bisherigen Unternehmensgegenstand entsprechend abstrahiert und auf einer höheren Ebene weiter gedacht und weiter gemacht wird – so wie Red Bull von einer Getränkeherstellungsfirma zu einem Marketing-Unternehmen wurde; und einige Automobilunternehmen in den nächsten Jahren hoffentlich den Sprung auf die Ebene der Mobilitätssicherung schaffen (was bedeutet, dass sie aufhören, Autos herzustellen – denn Mobilität finden wir auf den gängigen Autobahnen von Norddeutschland bis Shanghai aktuell und in Zukunft nicht mehr).

Und wer weiß? Vielleicht geht es dann ja, um beim Beispiel des Automobilherstellers zu bleiben, nicht mehr darum, Autos zu produzieren, sondern die Dienstleistung des „von A nach B Kommens“ anzubieten? Wir bleiben hier natürlich dran...

4. Fazit

Es hat mich 3 Jahre intensiven Nachdenkens und Experimentierens gekostet, um den Kreislauf der Unternehmensführung, Führung, des Managements, des Change Managements und der Lernen- den Organisation zu schließen. Nun können wir in der Praxis damit arbeiten und diesen Ablauf automatisieren. Im Automatisieren entstehen Chancen der Vereinfachung, werde ich ganz bestimmt neue Instrumente entwickeln. Und welche neue Dimension lässt sich danach erdenken? Ich habe schon eine bestimmte Ahnung, wage aber noch nicht sie auszusprechen.