Ethikmaßnahmen

Aktivitäten zur Verbesserung des ethischen Verhaltens in Unternehmen.

Unternehmensethische Reflexion bietet den Mitarbeitern eine Orientierung hinsichtlich der normativen Prinzipien, an denen sie ihre Handlungen ausrichten können und sollen, um mit konfliktären Norm- und Wertvorstellungen umzugehen (? Unternehmensethik). Für Führungskräfte stellt sich vor diesem Hintergrund die wichtige Frage, welche organisatorischen und personellen Ansatzpunkte ihnen zur Verfügung stehen, um ethisch verantwortungsvolles Handeln in der betrieblichen Praxis auch tatsächlich zur Geltung zu bringen. Die strukturellen Konsequenzen ("Ethikmaßnahmen") und die Frage, ob Unternehmensethik überhaupt institutionalisierbar ist, rücken in den Vordergrund. Es sei hervorgehoben, dass sich Ethik, verstanden als permanenter Prozess kritischer Reflexion begründbarer normativer Prinzipien, einer direkten Umsetzung durch operative "Maßnahmen" eigentlich entzieht. Unternehmensethik liefert nicht unmittelbar anwendbares Verfügungswissen (Know how), sondern vielmehr bringt sie argumentativ begründetes Orientierungswissen im Sinne von Grundsätzen und Leitideen hervor (Know What). Ethikmaßnahmen schaffen lediglich strukturelle und kulturelle Bedingungen, in denen sich ethische Reflexion entfalten kann (Gilbert 2003).

Vor der Implementierung von Ethikmaßnahmen gilt es zunächst das Unternehmen für ethische Problemstellungen zu sensibilisieren und die Organisation so auszugestalten, dass sich für unternehmensethische Reflexion notwendige Dialoge prinzipiell entfalten können. Der Ruf nach Herstellung möglichst idealtypischer Dialogbedingungen darf allerdings nicht der Illusion verfallen, dass ein kompletter Neuanfang in Unternehmen möglich ist. Jede dialogisch ausgestaltete ethische Reflexion muss an die bestehenden Verhältnisse in der betrieblichen Praxis anknüpfen. Es gibt für Unternehmen eine Vielzahl von Möglichkeiten, dialogische Prozesse in Organisationen zu fördern (Gilbert 1998). Die grundlegenden Anforderungskriterien an dialogfördernde Organisationsstrukturen ergeben sich aus Übersicht 1.

Anforderungen an dialogfördernde Organisationsstrukturen

Die Schaffung argumentationsfreundlicher Rahmenbedingungen in Organisationen repräsentiert den Ausgangspunkt für eine ethische Sensibilisierung von Mitarbeitern in Unternehmen.

Neben der grundsätzlichen Ausrichtung des Unternehmens an der Leitidee ethischer Verantwortungsübernahme bieten sich in der Praxis außerdem spezielle Ethik-Maßnahmen an, die eine ethische Reflexion ermöglichen beziehungsweise fördern. Diese Maßnahmen zur Institutionalisierung von Ethik werden aus der herkömmlichen Organisationsstruktur (Primärorganisation) ausgegliedert und haben den Vorteil, dass sie die Gesamtorganisation von zeitraubenden Diskursen entlasten. Es kommt zu einer funktionalen Ausdifferenzierung von Unternehmenseinheiten im Sinne eigener Projektgruppen, Abteilungen oder Kommissionen, die sich primär mit der Regelung ethischer Konflikte beschäftigen. Die Organisationsmitglieder werden dadurch befähigt und ermutigt, immer dann, wenn ethische Gesichtspunkte missachtet werden, Einspruch zu erheben und aktiv ethische Verantwortung zu übernehmen (Ulrich 2002).

Aus der Vielzahl der Instrumente, die in der Unternehmenspraxis Anwendung finden, werden im Folgenden diejenigen dargestellt, welche empirisch die größte Bedeutung haben! Nach den vorliegenden empirischen Befunden sind solche Konzepte zur Institutionalisierung der Unternehmensethik in der Schweiz bereits stärker zum Tragen gekommen als in deutschen Unternehmen. Die stärkste Verbreitung haben sie allerdings bislang in den USA gefunden (Übersicht 2).

  • Ethik-Trainings: Eine wesentliche Voraussetzung, um unternehmensethische Reflexion in der Praxis durchzuführen, sind individuelle Kompetenzen der Mitarbeiter. Als Dialogpartner kommen nämlich eigentlich nur Personen in Frage, die ernsthaft argumentieren können und die Fähigkeit zu ethischer Reflexion besitzen. Die Befähigung zur ethischen Reflexion kann aber nicht von vornherein für alle Mitarbeiter als gegeben vorausgesetzt werden. Um die Moralentwicklung der Mitarbeiter zu fördern bieten sich Ethik-Trainings an. In solchen Trainings gilt es die kognitiven Fähigkeiten der Mitarbeiter zu stärken, indem zum Beispiel moralische Dilemmasituationen anhand von Fallstudien diskutiert werden. Entscheidend bei dieser Methode ist nicht das Ergebnis und die Generierung einer "richtigen Lösung" für den behandelten Fall, sondern die Wahrnehmung, Reflexion und Beurteilung der moralischen Dimension von Konflikten sowie die Schulung argumentativer Prozesse und die dadurch ausgelöste kognitive Transformation, auf eine höhere Stufe der moralischen Entwicklung. In Ergänzung zu Fallstudien bietet sich die Vermittlung von ethischem Wissen in Ethik-Trainings an, um die moralische Urteilskompetenz positiv zu beeinflussen. Inhalte solcher Schulungsmaßnahmen können unter anderem verschiedene Ansätze zur Unternehmensethik und die Bewusstmachung kultureller Unterschiede im Hinblick auf Normen und Werte sein. Schulungen in diesem Bereich fördern das Verstehen ethisch problematischer Aspekte bei Entscheidungen und können sich positiv auf die ethische Reflexionskompetenz sowie die Motivation, moralisch zu handeln, auswirken.
  • Ethik-Beauftragte (Ethik-Abteilung): Der Ethik-Beauftragte beziehungsweise die Ethik-Abteilung ist unter anderem zuständig für die Umsetzung der ethischen Leitlinien auf allen Hierarchieebenen (? Hierarchie), die Ethik-Trainings der Mitarbeiter, die Ethik-Hotline, das Überwachen von ethisch sensiblen Bereichen, den Aufbau eines ethischen Frühwarnsystems und die entsprechende Unterrichtung der Öffentlichkeit (syn.: Ombudsmann; engl.: Ethics Officer).
  • Ethik-Hotlines: Über einen solchen Telefonanschluss können Mitarbeiter Beobachtungen, Anregungen und Wünsche hinsichtlich ethisch relevanter Sachverhalte jederzeit und unbürokratisch an den Ethik-Beauftragten weitergeben. Es geht dabei insbesondere um Fragen wie Umweltverschmutzung, Arbeitszeit, Firmen- und Kundeneigentum, Geschenke und Zuwendungen, Preispolitik, Qualitätskontrolle und Produktsicherheit. In einem internationalen Vergleich zeigt sich insbesondere bei dieser Ethik-Maßnahme ein deutlicher Unterschied hinsichtlich der Akzeptanz durch die Mitarbeiter. In deutschen Unternehmen kommt dieses Instrument in wesentlich geringerem Maße zum Einsatz als in den USA.
  • Ethik-Leitlinien: Sie geben die Wert- und Zielvorstellungen der Unternehmensmitglieder wieder (engl.: Codes of Ethics). Sie stellen eine schriftliche Niederlegung grenzziehender und orientierungsgebender Richtlinien eines Unternehmens dar, die gewünschte Verhaltensweisen beschreiben. Ethik-Leitlinien haben gleichzeitig eine Orientierungs-, Motivations- und vor allem Legitimationsfunktion. Sie werden idealerweise in kooperativer Zusammenarbeit im Unternehmen entworfen und zielen darauf ab, ein bestimmtes Verhalten gegenüber ethischen Angelegenheiten und bei ethischen Konflikten in der Unternehmenskultur zu verankern. Sie sollen sämtliche Unternehmensmitglieder in die Lage versetzen, regelmäßig wiederkehrende konfliktäre Situationen nach gleichen Grundsätzen zu bewältigen. Die Existenz firmenspezifischer ethischer Leitlinien verbessert so die Chancen für die konstruktive Handhabung ethischer Konflikte.
  • Ethik-Kommission: Die Errichtung von Ethik-Kommissionen dient der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Anspruchsgruppen und der Handhabung ethischer Konflikte. Eine Ethik-Kommission schafft ein praktisches Forum für die dialogische Verständigung mit allen (potenziell) Betroffenen. Ethik-Kommissionen tagen regelmäßig und beraten über aktuelle ethische Konflikte. Neben turnusmäßigen Zusammenkünften können jederzeit auch problembezogene Sitzungen stattfinden. Das Ziel der Kommissionsarbeit ist ein Meinungsaustausch zur Erarbeitung ethisch reflektierter Normen, die unternehmensweit Gültigkeit besitzen sollen. Zudem haben Ethik-Kommissionen die Aufgabe, die Implementierung und Überwachung der Einhaltung ethischer Leitlinien sicherzustellen. Als Teilnehmer von Ethik-Kommissionen kommen prinzipiell alle internen und externen Anspruchsgruppen auf internationaler Ebene in Frage. Die Teilnehmer von Ethik-Kommissionen konstituieren sich freiwillig und sind nicht endgültig bestimmt. Der Kreis der beteiligten Dialogpartner richtet sich nach deren Betroffenheit von einem zu verhandelnden ethischen Konflikt. In der Praxis erscheint es ratsam, zumindest ein Kernteam permanent zu etablieren, welches konfliktspezifisch um betroffene Anspruchsgruppen erweitert wird.
  • Ethik-Audits: Sie stellen eine neuere Entwicklung im Bereich der Ethikmaßnahmen dar, die insbesondere aus der Kritik an den oben genannten Ethik-Maßnahmen entstanden sind. Vorhandene Ethikmaßnahmen scheinen in der Praxis oftmals nicht zu der gewünschten Steigerung unternehmensethischer Sensibilität zu führen, da sie letztlich auf freiwilliger Basis erfolgen und oftmals keiner kritischen Evaluation unterliegen. Unternehmensinterne Audits der verschiedenen Ethik-Maßnahmen, bis hin zu einer externen Zertifizierung durch unabhängige Zertifizierungsgesellschaften sollen hier zu einer Verbesserung führen (? Social Audit). Die erfolgreiche Umsetzung von Ethikmaßnahmen wie zum Beispiel die Einhaltung bestimmter ethischer Leitlinien wird in diesem Fall nach anerkannten, allgemein bekannten und nachvollziehbaren Regeln auditiert, das heißt überwacht, bestätigt und an interessierte Stakeholder kommuniziert. Hierzu liegen bislang kaum empirische Ergebnisse vor, jedoch finden sie in der Praxis zunehmend Anerkennung (Waxenberger 2001).

Eine aktuelle Studie nach Kreikebaum, Benham und Gilbert (2001) vermittelt, welche Ethik-Maßnahmen in Unternehmen als sinnvoll erachtet werden:

Verbreitung von Ethik-Intstrumenten

Der Versuch einer Institutionalisierung ethischer Reflexion mittels der genannten Ethikmaßnahmen hat eine höhere Aussicht auf Erfolg, wenn diese komplementär zum Einsatz kommen. Durch einen kombinierten Einsatz ergeben sich vielerorts im Unternehmen praktische Foren für eine dialogische Verständigung betroffener Anspruchsgruppen. Zudem gelingt es, die wesentlichen Aufgaben im Rahmen der Unternehmensethik, wie die diskursive Handhabung von Konflikten, die Überwachung der Einhaltung von Ethik-Leitlinien sowie die Übernahme advokatorischer Verantwortung für Anspruchsgruppen, die selber nicht an der Austragung eines ethischen Konflikts teilnehmen können, besser zu übernehmen.

Um jedoch langfristig ethische Reflexion über das Unternehmen hinaus zu entfalten, sind die diskutierten Ethikmaßnahmen durch ein umfassendes System von Anreizen und Sanktionsmechanismen auf der Ebene von Branchen (z. B. Branchenstandards) und der Rahmenordnung (z. B. OECD-Leitlinien) zu ergänzen. Dieses Erfordernis resultiert unter anderem daraus, dass die Implementierung von Ethikmaßnahmen zu gravierenden Wettbewerbsnachteilen für einzelne Unternehmen führen können (Gilbert 2003). Diese ergeben sich vor allem aus den Kosten bei der Implementierung von Ethikmaßnahmen, die nicht problemlos an die Nachfrager weitergegeben werden können. Es entsteht ein Dilemma aus der Einführung ethisch erwünschter Innovationen einerseits und der Ausnutzung dieser Situation durch Konkurrenten mit niedrigeren Standards (und Kosten) andererseits. Einheitliche Branchenstandards gelten hier als mögliches Konzept, um die unternehmensethischen Vorleistungen einzelner Wettbewerber - zumindest ansatzweise - zu schützen. Durch die diskursive Einigung auf einen Branchenstandard avancieren Geschäftspraktiken, die diese Standards unterlaufen, zu unmoralischem Free Rider Verhalten (? Gruppenmerkmale), welches sanktionierbar ist. Aus einheitlichen Branchenstandards folgt so zwar nicht die Elimination des brancheninternen Wettbewerbs, aber dessen Qualität erhöht sich. Da unmoralische Trittbrettfahrer von Seiten eines Branchenverbandes aber lediglich durch Ausschluss aus dem Verband sanktioniert werden können, ist die Reichweite von Branchenstandards letztlich begrenzt.

Dieses Defizit lenkt die Aufmerksamkeit auf die nächsthöhere, die ordnungspolitische Ebene. Dort können sich Führungskräfte, die ihre Mitverantwortung für die ethische Qualität der Rahmenordnung ernst nehmen, aktiv für Änderungen der Spielregeln des Wettbewerbs einsetzen (? Wirtschaftsethik).