Mobbing - Hilft es, ein Mobbing-Tagebuch zu führen?
In vielen Ratgebern wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, im Falle von 'Mobbing' ein Tagebuch zu führen, in dem die entsprechenden Ereignisse dokumentiert werden. Aber es gibt auch sehr kritische Stimmen zu diesem Thema, die davon abraten. Wie sollte man sich also verhalten? Diese Frage wurde in dem „Fachforum Mobbing - Informationen und Unterstützung“ bei XING von Experten diskutiert.
Einigkeit herrscht in der Fachwelt wohl darüber, dass es das vorrangige Ziel (im Sinne einer lösungsorientierten Herangehensweise) sein sollte, die Auflösung des Konfliktes bzw. die Beendigung der Mobbing-Handlungen herbeizuführen. Wenn die (im Unternehmen liegenden) Mobbing-begünstigenden Strukturen nicht aufgelöst werden können, dann sollte der Einzelne die Entscheidung treffen, das Unternehmen zu verlassen oder diese Bedingungen zu akzeptieren. Unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen sollte sich der Betroffene also überlegen, ob er dort bleiben möchte, wo er nicht (mehr) erwünscht ist. Die Frage nach einer Entschädigung bleibt davon unberührt.
Ob es nun sinnvoll ist (oder nicht), ein Mobbing-Tagebuch zu führen, wird auf drei Ebenen betrachtet.
1. Ebene: Werkzeug für die Mobbinganalyse
Das Tagebuch kann dabei helfen, die Art des Konfliktes systematisch zu erfassen und zu beurteilen. Damit dies möglich ist, sollten gewisse Kriterien berücksichtigt werden. Angegeben werden sollten der Ort, die Uhrzeit und die beteiligten bzw. anwesend en Personen. Auch eine möglichst exakte Beschreibung der Vorfälle sowie der psychischen bzw. gesundheitlichen Folgen sollten darin enthalten sein.
2. Ebene: Der psychologische Nutzen
Das Führen eines Tagebuchs kann entlastend wirken („sich etwas von der Seele schreiben“) und dazu führen, dass man eine gewisse Distanz zu den Geschehnissen und evtl. einen besseren Überblick über sie bekommt. Auch kann es die Reflexion der Ereignisse (auch in Hinsicht auf den sogenannten „Eigenanteil“) unterstützen. So können z.B. auch „entfallene“ Anteile wieder an die Oberfläche kommen und bearbeitet werden. Auch als Gedächtnisstütze ist es sicher hilfreich, zumal einzelne Vorfälle unter der Einwirkung von Stress leicht in Vergessenheit geraten oder verzerrt erinnert werden. Des Weiteren kann es dazu beitragen, dass der Betroffene weniger stark an der eigenen Wahrnehmung zweifelt.
Allerdings ergibt sich durch das Führen eines Tagebuchs auch eine Fokussierung auf das Problem, welche dazu beitragen kann, dass sich der Konflikt weiter verschärft. Zu bedenken ist außerdem, dass das Schreiben nicht jedem gleichermaßen liegt und somit sicher nicht jedem verpflichtend auferlegt werden sollte.
3. Ebene: Der Nutzen vor Gericht
Vor zu hohen Erwartungen an den Nutzen eines Tagebuchs wird gewarnt. Zwar kann ein solches Tagebuch die Glaubwürdigkeit vor Gericht erhöhen, allerdings ist dies stark davon abhängig, wie es geführt wurde. So sollten die Ereignisse möglichst präzise und objektiv (nachvollziehbar) dargestellt sein. Dann kann es dabei helfen, die abgelaufenen Prozesse zeitlich und inhaltlich zu rekonstruieren (vor Gericht sowie in der Beratung). Ein weiterer Vorteil kann sein, dass die Benennung von Zeugen (auch nachträglich) ermöglicht wird.
Vor Gericht wird aber wohl häufig nur auf einzelne im Tagebuch angeführte Ereignisse Bezug genommen, anstatt die geforderte „Gesamtschau des Arbeitsverhältnisses“ vorzunehmen. Auch besteht die Gefahr, dass dem Betroffenen das Führen eines solchen Tagebuchs als Zeichen für mangelnde Belastbarkeit und Überempfindlichkeit ausgelegt wird.
Fazit
Das Fazit für die Beratung wäre nun, dass es keine eindeutige Aussage zu diesem Thema gibt. Ob ein Tagebuch einen Nutzen hat oder es sich eher schädigend auswirkt, hängt von vielen Faktoren ab, die zunächst nicht immer klar ersichtlich sind. So besteht die Aufgabe des Beraters darin, auf die Vor- und Nachteile sowie auf mögliche Gefahren hinzuweisen und die Entscheidung dem Klienten zu überlassen.