Führungsinstrument Anerkennender Erfahrungsaustausch

Gesundheit ist immer noch ein relativ wenig erforschtes und untersuchtes Thema. Wir neigen nach wie vor eher dazu, uns auf Krankheit zu konzentrieren – in der Annahme, dass das Fehlen biologischer Symptome gleichbedeutend mit Gesundheit ist, oder, was noch bedenklicher ist, dass man sich mit körperlichen Einschränkungen nicht gesund, genuss- und leistungsfähig fühlen kann. Krankheit hat bislang das Rennen um wissenschaftliche Aufmerksamkeit und Anerkennung gewonnen.

Einen Meilenstein für ein neues Verständnis von Gesundheit setzte die Salutogenese. Der salutogenetische Ansatz betrachtet Erkrankungen eher unspezifisch und fragt – umgekehrt - warum und wodurch Menschen gesund bleiben. Dabei wird insbesondere nach vorhandenen und genutzten Gesundheitsressourcen geforscht und die grundlegende Tatsache des Menschseins bestätigt, dass ein Mensch eher gesund als krank ist. Betriebliche Gesundheitsförderung ruht heute im Wesentlichen auf drei Säulen:

  • der gesundheitsfördernden Arbeitsgestaltung (Verhältnisprävention),
  • den Gesundheitsangeboten im Unternehmen (Verhaltensprävention),
  • der gesundheitsfördernden Führung und dem gesundheitsfördernden Management.

Dabei ist gesundheitsfördernde Führung sowohl Krönung als auch Fundament der betrieblichen Gesundheitsförderung: Auf der einen Seite ermöglicht erst die Führungsentscheidung, Gesundheitsangebote wahr zu nehmen und die Arbeit gesundheitsfördernd zu gestalten. Andererseits hat das Führungsverhalten wesentlich Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit und das Befinden der Mitarbeiter und damit auf deren Motivation und Leistungsbereitschaft.

Unersetzliches Instrument der Führungskräfte hierbei ist der geeignete Dialog mit den Mitarbeitern, und der Schlüssel zum Erfolg ist in der Qualität und Intensität von Führung zu suchen.

Belegschaftstypologie / Psychologische Arbeitsverträge

Neben dem juristischen, schriftlich fixierten Arbeitsvertrag gibt es immer auch den sogenannten „psychologischen Arbeitsvertrag“, der die individuellen Überzeugungen und Empfindungen des Mitarbeiters bezüglich des wechselseitigen Gebens und Nehmens zwischen Mitarbeiter und Unternehmen beschreibt.

Eine Untersuchung der Zusammenhänge zwischen krankheitsbedingten Fehlzeiten einerseits und dem psychologischen Arbeitsvertrag andererseits zeigt, dass es idealtypisch in jeder Belegschaft vier Mitarbeitertypen gibt. Der psychologische Arbeitsvertrag steht hier stellvertretend für die Verbundenheit mit dem Unternehmen, der Verbundenheit mit der Tätigkeit, für Betriebsklima, Anerkennung der geleisteten Arbeit durch die Führung, aber auch für Klarheit in der Ausrichtung des Unternehmens. Der psychologische Arbeitsvertrag kann nun aus Sicht des Mitarbeiters gebrochen, gestört oder völlig zerrüttet sein, der Mitarbeiter hat dann subjektiv die Sicht, dass das Unternehmen ihm mehr „schuldet“, als im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Der psychologische Arbeitsvertrag ist mithin der wesentliche Faktor für das individuelle Anwesenheitsverhalten, den es durch geeignete Führung positiv zu beeinflussen gilt.

Die Abbildung macht zunächst deutlich, dass Mitarbeiter, die in der Krankenstatistik auffällig sind, durch das Kriterium psychologischer Arbeitsvertrag eine wichtige Differenzierung erfahren.

Die vier verschiedenen Gruppen einer Belegschaft, die so unterscheiden lassen, erfordern im Sinne einer gesundheitsfördernden Kommunikation vier unterschiedliche Dialogtypen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, (wie obenstehende Abbildung zeigt):

  • Fehlzeitengespräche zur Klärung des psychologischen Arbeitsvertrages mit dem Ziel einer Verhaltensänderung des Mitarbeiters.
  • Das Arbeitsbewältigungsgespräch mit dem Ziel, vorhandene individuelle Gesundheitsressourcen zu erkennen, die Arbeitsbedingungen (kurz-, mittel-, oder langfristig) dem veränderten Leistungsvermögen anzupassen und den Mitarbeiter auf Dauer in Arbeit zu halten.
  • Stabilisierungsgespräche als Vertiefung und Bestätigung positiver Haltungen, zur Veränderung unentschiedener oder negativer Haltungen durch Erhöhung des subjektiven Wohlbefindens, zur Reduktion von Problemen und zur Aktualisierung der gegenseitigen Erwartungen.
  • Der Anerkennende Erfahrungsaustausch mit dem Ziel, die Leistungsträger als kompetente, interne Berater der Führung in Sachen Arbeit und Gesundheit zu begreifen und darüber systematisch die vorhandenen Stärken der Organisation zu erfahren. Das Gespräch Anerkennender Erfahrungsaustausch selbst wirkt in hohem Maße gesundheitsförderlich und verschafft den Führungskräften systematisch positive Gesprächsanlässe.

Ein Beispiel, wie Führungskräfte in einem Betrieb Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend der Belegschaftstypologie zugeordnet haben, zeigt nachfolgende Übersicht:

Anerkennender Erfahrungsaustausch (AE) mit den Gesund(et)en:

Die betriebliche Gesundheitsförderung und das Management folgen unterschiedlichen Logiken. Die Konfliktfelder werden im Folgenden kurz dargestellt:

  • Betriebliche Gesundheitsförderung soll eingreifen, bevor die Probleme sichtbar werden – das Management wartet meist, bis das Problem schon offensichtlich ist.
  • Interventionen der betrieblichen Gesundheitsförderung verbinden Bekanntes mit Unbekanntem – dem stehen Lernüberforderungen und Zeitmangel im Unternehmen gegenüber.

Die Unternehmen stehen heute unter einem enormen Druck, der sich nicht zuletzt in dem hohen Erfolgsdruck, unter dem Manager stehen, widerspiegelt. Dabei ist das zentrale Mittel der Führungskraft das Gespräch. Der Anerkennende Erfahrungsaustausch zwischen Führungskräften und gesunden und gesundeten Mitarbeitern bedeutet Zuwendung zu den „Leistungsträgern“ im Unternehmen, über bloße Belobigung hinausgehend.

Anerkennung ist das ernsthafte Interesse an den Mitarbeitern, deren Leistungen, Einschätzungen und Vorschlägen. Anerkennender Erfahrungsaustausch ist eine Option, den dauerhaften und gesundheitsförderlichen Dialog zwischen Führung und Mitarbeitern einzurichten.

Der Anerkennende Erfahrungsaustausch ist ein Vier-Augen-Gespräch, das den Grundregeln der zwischenmenschlichen Kommunikation folgt. Dieser offene Dialog zwischen unmittelbarer Führungskraft und gesund(et)em Mitarbeiter dauert erfahrungsgemäß mindestens 30 Minuten. Es braucht dazu keinen Fragebogen oder umfassenden Gesprächsleitfaden. Im Mittelpunkt steht eine besondere Auswahl an empfohlenen Gesprächsthemen, die sich um Stärken und Schwächen der Arbeit im Unternehmen aus Sicht der Gesprächspartner drehen.

Diese gesundheitsfördernde Strategie ist leicht erlernbar. Operative Führungskräfte erfahren und erproben im unternehmensspezifischen Trainingsmodul die Gesprächs- und Auswertungsinstrumente. Der Anerkennende Erfahrungsaustausch findet einmal pro Jahr statt und ist keine „Eintagsfliege“. Um in den Gesprächen sinnvoll an das jeweils vorhergehende anzuknüpfen, braucht es für beide Gesprächspartner eine einfache Gesprächsnotiz als Erinnerungsstütze. Gleichzeitig sind diese Gesprächnotizen die Grundlage für eine anonyme, authentische Gesamtauswertung der Mitarbeitergespräche.

Auf drei Ebenen wirkt der Anerkennende Erfahrungsaustausch gesundheitsfördernd:

  • Das Gespräch selbst ist Gesundheitsunterstützung für die Mitarbeiter durch die Wertschätzung und das Interesse der Führungskräfte, das sie damit den Mitarbeitern gegenüber zum Ausdruck bringen.
  • Im Gespräch widmet man sich der systematischen Erhebung von Ressourcen und Belastungen aus Sicht der einzelnen Mitarbeiter. Die Gesamtauswertung und Zusammenfassung aller Gespräche ergeben für Führungskräfte Ansatzpunkte der betriebliche Gesundheitsförderung und der Förderung von Mitarbeiterzufriedenheit.
  • Nicht zu unterschätzen ist die Wirkung auf die Führungskraft selbst. Der Anerkennende Erfahrungsaustausch stellt eine positive Ausgestaltung von Personalführungsaufgaben dar, sozusagen als Ausgleich für andere meist problembezogenen Gesprächsanlässe.

Der Anerkennende Erfahrungsaustausch zielt auf die Verstärkung beziehungsweise Wahrung der Anerkennung und Wertschätzung für die (fast immer) Anwesenden, die oft aus den Augen verloren werden, weil sie nicht (negativ) auffallen. Er stellt durch partizipativ-anerkennendes Vorgesetztenverhalten eine Gesundheitsressource für die Beschäftigten dar. Gleichzeitig werden systematisch die Stärken des Unternehmens aus Sicht der Mitarbeiter erhoben, um diese dann weiter zu entwickeln oder zu sinnvoll zu erhalten. Schließlich dient der Anerkennende Erfahrungsaustausch auch als Früherkennungssystem in Bezug auf die Auswirkungen bestehender oder sich ändernder Arbeitsbedingungen oder auch auf externe Einflüsse durch sich ändernde Rahmenbedingungen - zum Beispiel Wegfall der gesetzlichen Vorruhestandsregelungen.

Literaturhinweise

Geißler, Heinrich / Bökenheide, Torsten / Geißler-Gruber, Brigitta / Schlünkes, Holger: „Faktor Anerkennung“. Betriebliche Erfahrungen mit wertschätzenden Dialogen. Das Praxisbuch. Verlag Campus 2007

Geißler, Heinrich / Bökenheide, Torsten / Geißler-Gruber, Brigitta / Schlünkes, Holger / Rinninsland, Gudrun: Der Anerkennende Erfahrungsaustausch. Das neue Instrument für die Führung. Verlag Campus 2004