Betriebsvereinbarungen agil verhandeln

Es dauert seine Zeit, bis eine Betriebsvereinbarung zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat im klassischen Verhandlungsstil unterschriftsreif ist. Die üblicherweise vorzufindende Rollenverteilung zieht konfrontativ geführte Gespräche nach sich, bis es zu einer Einigung kommt. Wenn es sich beim Inhalt der Vereinbarung um eine Softwarelösung handelt, ist sogar die Wahrscheinlichkeit groß, dass noch vor Ende der Verhandlung ein neuer Release-Stand veröffentlicht wurde, mit weiteren unbekannten und daher unbesprochenen Funktionen.

Die Unzufriedenheit mit dieser Situation findet sich auf beiden Seiten. Sowohl die Geschäftsführung wie auch der Betriebsrat wünschen sich zügigere Gespräche, auf dem Weg zum Abschluss weniger Konflikte und ein Ergebnis, das beiden Seiten gerecht wird. 

Der klassische Aufbau der Verhandlungssituation sorgt jedoch von Beginn an dafür, dass es wenig Hoffnung auf eine Änderung in diesem Gesprächsablauf geben dürfte. 

Die Vorbereitungen auf Verhandlungsgespräche finden üblicherweise getrennt in den Fraktionen statt. Die Ziele werden besprochen und Interessen sowie Motive  ausgetauscht, die Vorgehensweise für die Gespräche auf ein möglichst erfolgreiches Ergebnis ausgerichtet – was auch immer der Gradmesser für diesen Erfolg dafür sein mag.  

Den tatsächlichen Verhandlungsgesprächen folgen erneut die internen Runden zum Austausch und die Korrektur der Verhandlungsziele. Dieser Kreislauf wird fortgesetzt, bis alle Wünsche, Konsequenzen und Resultate daraus vorweggenommen und besprochen sind. Inwieweit die Inhalte für eine gelebte Betriebsvereinbarung überhaupt noch relevant sind, tritt dabei allzu leicht in den Hintergrund. 

Ein ganz anderer prinzipieller Gesprächsaufbau findet sich in zeitgemäßen Projekten, die agile Methoden anwenden - wie beispielsweise das Scrum. Die ausgefeilte, auf Transparenz zielende Kommunikation in dieser Form der Zusammenarbeit, stellt das fertige Produkt in den Mittelpunkt der Teamarbeit. Untersuchungen zeigen, dass bei Anwendung dieser Vorgehensweise nicht nur die fertigen Ergebnisse überdurchschnittlich gut sind, auch der Weg dorthin nimmt weniger Zeit in Anspruch. 

Die klare und transparente Vorgehensweise - flankierend unterstützt durch einen ScrumMaster - sorgt bei allen Teammitgliedern und deren Auftraggebern deutlich schneller für ein gemeinsames Verständnis des zugrunde liegenden Ziels. Allerdings sind hierfür gegenüber der klassischen Methode grundlegende Änderungen in der Struktur der Zusammenarbeit notwendig!

Die Frage liegt nahe: Ist in dieser modernen Form der Zusammenarbeit, die für die digitalen Transformation ersonnen wurde, der Hebel für eine verträglichere und trotzdem schnellere Verhandlungsform zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat zu finden?

Schon vor Jahren gab es dazu in der Telekommunikationsindustrie erste Ansätze, als Scrum noch nicht einem breiten Publikum bekannt war. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass im Infrastrukturbereich für Mobilfunk der massive Wettbewerb die Lebenszyklen für Produkte beständig verkürzte und hoch spezialisierte Ingenieure nach immer neuen Wegen suchten, um in den Unternehmen die Entwicklungsarbeiten, die Produktionsabläufe und selbst die zugehörigen Logistikleistungen zu verbessern. 

Teile dieser Innovationsansätze beinhalteten auch Softwarelösungen und Ergänzungen zu etablierten ERP-Systemen. Natürlich interessierten sich Arbeitnehmervertretungen im Einklang mit dem Betriebsverfassungsgesetz für diese Änderungen in den Arbeitsabläufen; auch um zu prüfen, ob damit eine maschinelle Leistungs- und Verhaltenskontrolle ermöglicht werden könnte.

Schnell wurde klar, dass die klassische Aufarbeitung in Betriebsvereinbarungen sowohl zeitlich wie inhaltlich für Geschäftsführung und Betriebsrat nicht zufrieden stellend sein konnte. Gemeinsam wurde ein neues Verhandlungskonzept entwickelt, das um Scrum-Methoden ergänzt wurde.   

Im revolutionären Kern wird der nutzbringende Teil der Betriebsvereinbarung von einem Entwicklungsteam erarbeitet und - im Sinne des Scrum - als fertiges Produkt geliefert. Mit der Fertigstellung und Veröffentlichung durch das Entwicklungsteam erlangt die Betriebsvereinbarung Gültigkeit! 

Die Hürde für dieses Vorgehen liegt im mutmaßlichen Kontrollverlust der bisherigen Entscheider in der Geschäftsführung und im Betriebsrat. Die anfänglichen Bedenken fanden sich sowohl in der Unternehmensleitung wie auch in der Arbeitnehmervertretung. 

Um dennoch die Möglichkeiten testen zu können, wurde ein Pilotbetrieb mit dieser  Vorgehensweise für einen ausgewählten organisatorischen Bereich ins Leben gerufen. Vor allem die Transparenz der Inhalte, die der neue Ablauf - ebenfalls ganz im Sinne des Scrum - mit sich brachte, sorgte für eine nachhaltige Überzeugung dafür, dass diese Form der Zusammenarbeit für datentechnische Sachverhalte zum Standard wurde.  

Aus verschiedenen Unternehmen gibt es heute auch Erfahrungen in der Ausarbeitung von Betriebsvereinbarungen im Nicht-Softwarebereich und unter Anwendung einer adaptierten Scrum-Methodik. Auch dort war die anfängliche Befürchtung der bisherigen Entscheider, zu wenig Einflussnahme auf die Ergebnisse zu haben, die größte Herausforderung. Die Transparenz im Ergebnis, der konfliktarme Ablauf und das schneller verfügbare Ergebnis überzeugte schließlich auch in diesem Umfeld.   

Ein Nebeneffekt, den ursprünglich niemand beachtet hatte, war die Veränderung der Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat jenseits der Betriebsvereinbarungen. Der deutlich höhere Austausch von Informationen, Inhalten und Folgewirkungen für Betriebsvereinbarungen, führte zu einem besseren Wissensstand der Arbeitnehmervertretung, auch bei damit nur am Rande in Verbindung stehenden Themen. 

Gradmesser für diese Entwicklung war, dass Betriebsräte auf die Anfragen aus der Belegschaft „Hast du schon gehört, dass ...“ regelmäßig antworten konnte „wir sind in den Erörterungen mit dabei“, weil sie die Umstände kannten. Die Geschäftsführung und deren Vertreter ebenso wie die Betriebsräte können sich auf die eigentliche Problemlösung konzentrieren. Formulierungen treten in den Hintergrund, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat, wie durch das Betriebsverfassungsgesetz geboten, vollzieht einen Riesenschritt nach vorne.

Erkennbar wird aus diesen Erfahrungen: Agile Methoden, erprobt in der digitalen Transformation, sind bestens geeignet analoge, bereits bekannte Situationen, wie bei innerbetrieblichen Verhandlungen, auf die Höhe der Zeit zu lösen. Wenn auch das Ergebnis überzeugt - Mut gehört dazu. 

Über den Autor:

Rainer Wohlhöfner war viele Jahre im internationalen Konzernumfeld der Telekommunikationsindustrie als Personalleiter und Leiter der Informationstechnik in Personalunion tätig. Damit wurde es für ihn zur Selbstverständlichkeit die Themenwelten "Personal" mit "Informationstechnik" auch in den Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretungen zu verknüpfen und Verhandlungen erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Gemeinsam mit der Arbeitnehmervertretung erarbeitete er die agile Verhandlungsmethode zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen für Applikationen und ERP-Systeme. Die Zertifizierung zum ScrumMaster (durch Scrum Alliance) rundet die Expertise ab.

Veranstaltungen zu diesem Thema:

München, 14.11.2017: Verhandlungen.Betriebsrat.Agil. 

Königstein im Taunus, 20.11.2017: Verhandlungen.Betriebsrat.Agil

Gerlingen, 21.11.2017: Verhandlungen.Betriebsrat.Agil

Nürnberg, 24.11.2017: Verhandlungen.Betriebsrat.Agil