Neu gelebte Führung – Schlüssel einer betrieblichen Gesundheit

Ein vitales Unternehmen ist mehr als die Summe seiner gesunden Mitarbeitenden. Das Erkennen und Reduzieren arbeitsbedingter Gesundheitsrisiken ist wichtig, aber nicht ausreichend. Für die Vitalität entscheidend ist die organisatorische Resilienz. Darunter versteht man die Fähigkeit einer Organisation mit Schocks und Störungen intelligent und selbstregulierend umzugehen. Eine Blaupause der »resilienten Organisation« gibt es nicht. Führung sollte sich deshalb nicht mit einem Resilienzmanagement, sondern der intelligenten Resilienzvorsorge beschäftigen. Der zentrale Ansatz dabei bildet die Varietät, im Sinne des Verhaltensrepertoires einer Organisation. Zur Erhöhung der Wirk-, Handlungs- und Zustandsformen empfehlen wir dem Management drei konkrete Ansatzpunkte:

Erstens – Folgeeffekte varietätsreduzierender Managementinitiativen erkennen:

Dem Primat der Effizienz folgend, prägen heute Normierung und Standardisierung den betrieblichen Alltag. So nutzen viele Organisationen bei Personalentscheidungen standardisierte Assessment-Verfahren. Dies kann dazu führen, dass Selbstähnlichkeit rekrutiert wird und das Kantige in Organisationen mehr und mehr verloren geht. Zur gezielten Varietätserhöhung wären Unternehmen gut beraten, attraktive, atypische Lebensbiografien und Exoten einzustellen und der Gleichförmigkeit gezielt entgegenzuwirken.

Zweitens – Treiber der Varietät verstehen:

Varietät wird nicht nur durch die Profile der Mitarbeitenden, sondern insbesondere durch das Ausmaß der Nutzung ihrer Potenziale bestimmt. Wenn intrinsisch motivierte Mitarbeitende in ihrem Tun Sinn sehen, identifizieren sie sich mit der Organisation, handeln verantwortungsbewusst und bringen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten ein. Trotzdem gehen heute viele Führungskräfte davon aus: ohne Anreize und Druck keine Potenzialnutzung. Unterstellt wird, dass Mitarbeitende geführt werden wollen, sie sind zu beurteilen, in Mehr- oder Minderleistende einzustufen und von ihren Defiziten zu befreien. »Gesunde« Menschen und Organisationen benötigen Erlebnisse des Gelingens und nicht Druck.

Drittens – Varietät nachhaltig erhöhen: Drei Meta-Prinzipien können dabei helfen:

  • Vertrauen in die Urteilskraft von Menschen – Vertrauen ist ein mächtiger Mechanismus im Umgang mit sozialer Komplexität. Vertrauen in Mitarbeitende bildet die Basis um loslassen zu können. Es hilft Führungskräften Kontroll- und Machtverluste zu akzeptieren und ermöglicht die wirksame Potenzialentfaltung.
  • Wenig harte Pole und maximale Freiheiten – Organisationen benötigen wenige Orientierungspunkte, die strikt einzuhalten sind. Der Rest sollte aber möglichst unreglementiert bleiben. So gilt es auf alles zu verzichten was professionell aussieht, aber varietätsreduzierend wirkt: Zielvorgaben, Standards, Rankings etc.
  • Organisation als Experiment verstehen – Im Kontext der Unternehmensführung gibt es keine idealtypischen Lösungen. Deshalb tut Führung gut daran, Organisation als Prototyp zu verstehen. Mit Experimenten lässt sich betriebliche Varietät erhöhen. Sie produzieren Kontraintuitives, d.h. dem antrainierten Menschenverstand widersprechendes und damit wertvolle neue Erlebniswelten. Vitale Organisationen benötigen eine Lizenz zum Experimentieren.

Gesunde Organisationen benötigen eine neu gelebte Führung. Eine Führung, die sich nicht am Mainstream professionellen Managements orientiert und den Mut hat, auch radikale Musterbrüche zu wagen.

Der Autor hält den Eröffnungsvortrag „Führung: Neu gelebte Führung – Schlüssel einer betrieblichen Gesundheit“ auf der Fachtagung Betriebliches Gesundheitsmanagement 2017 am 15. und 16. Februar 2017 in München.

Univ.-Prof. Dr. oec. Hans A. Wüthrich
Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Management an der Universität der Bundeswehr München, Privatdozent an der Universität St.Gallen. Managementforscher, Berater und Coach sowie Mitinitiant der Musterbrecher-Initiative®. 

www.musterbrecher.de