Helmut Schmidt: Warum wir gerade ihm vertrauen konnten.
Und warum es uns bei anderen so schwer fällt.
In vielen Nachrufen wird Helmut Schmidt nicht nur als weitblickender, tatkräftiger Staatsmann gewürdigt, sondern mehr noch als großartiger Mensch. Man hatte zu ihm einfach Vertrauen, so einhellig seine Bewertung, und nicht nur von denjenigen Menschen, die ihm besonders nahe standen.
Worin liegt nun das Geheimnis von „Vertrauen“, warum gibt es immer weniger Menschen wie Helmut Schmidt, denen wir sogar bedingungslos vertrauen würden und warum wird unser Vertrauen so oft missbraucht? Und dies nicht nur in einer persönlichen Beziehung, sondern auch im Beruf, bei Sportorganisationen, von Politikern ganz zu schweigen.
Vertrauen ist wie ein zartes Pflänzchen, muss gehegt und gepflegt werden, und wird oft über Nacht zerstört. Und zu Vertrauen gehören ja immer zwei dazu, dies macht das Bilden und Pflegen so schwer, aber bei entsprechendem Gelingen für alle Beteiligten umso wertvoller. Und oft "traut" man sich dann sogar und schwört sich ewige Treue.
Nach meinen Erfahrungen (auch mancher Enttäuschung) in vielen Lebenswelten bildet sich das Wort VERTRAUEN aus folgenden „Bausteinen“:
- V = Verlässlichkeit
Sagen, was man meint und tun was man sagt. Einhalten was man verspricht, ohne jeden Tag daran erinnert werden zu müssen. Wenn ich mir sicher bin, dass ich mich auf jemanden verlassen kann, dann brauche ich für getroffene Vereinbarungen auch keine Protokolle, muss nicht ständig kontrollieren und kann mich um wichtigere Dinge kümmern.
- E = Erfahrung
Menschen brauchen Sicherheit, wenige begeben sich in unkalkulierbare Risiken, von Gefahren ganz zu schweigen. Deswegen werden gerade diejenigen Führungskräfte als natürliche Autorität akzeptiert, die schon schwierige Situationen gemeistert und dabei auch persönliche Verantwortung für ihr Tun übernommen haben. Helmut Schmidt als „Krisenmanager“ bei der verheerenden Sturmflut 1962 in Hamburg ist dafür das Paradebeispiel. Auch weil er einfach das getan hat, was getan werden musst, ohne nach Zuständigkeiten, vorhandenen Budgets, etc. zu fragen.
- R = Risiko
Da Vertrauen nicht auf „Knopfdruck“ entsteht, bedarf es schon eines gewissen Mutes im gegenseitigen Umgehen. Nicht jeder wird entgegengebrachtem Vertrauen sofort gerecht, manchmal scheitert der Versuch an trivialen Dingen wie an unterschiedlichen (zu hohen) Erwartungen, missverständlich gegebenen Informationen, oder einfach an der noch nicht vorhandenen Expertise oder Erfahrung. Da hilft nur „Heran tasten“, „Testen“ (im Beruf auch „Fördern durch Fordern) und das ein oder andere Risiko bezüglich Scheitern gelassen auf sich nehmen.
- T = Teamspirit
Da Vertrauen ja keine „Einbahnstrasse“ ist, zerstört egoistisches Verhalten jegliche Basis für eine Partnerschaft. Ziele gemeinsam festlegen, Erlebnisse und Ergebnisse (auch negative) gemeinsam teilen, Schuldzuweisungen vermeiden und sich als gleichberechtigte Partner sehen. So entsteht eben kein Misstrauen, sondern Zusammenhalt, gerade auch in den nicht ausbleibenden „schlechten Tagen“.
- R = Rückhalt
„Nobody is perfekt“, keiner macht im Normalfall absichtlich Fehler. Gerade in den vorher (Teamspirit) beschriebenen „schlechten Tagen“ ist es wichtig und entscheidend, Rückhalt und damit Vertrauen zu geben. Ausser, es liegt einem nichts an der entsprechenden Person, oder man will nicht mit in die entsprechende Verantwortung genommen werden. Dann kann man aber jegliches Bemühen um gegenseitiges Vertrauen gleich einstellen und eine Beziehung nur auf „Leistung und Gegenleistung“ (monetär) aufbauen, statt auf Gemeinsamkeiten, Teilen und Verständnis. Und wie fatal eine Zusammenarbeit basierend auf „Angst“ (keine Fehler machen zu dürfen, Ziele auf „Teufel komm raus“ erreichen zu müssen) erleben wir gerade live bei einem großen, deutschen Automobilhersteller.
- A = Akzeptanz
Wenn man nicht alles selber machen möchte, ist dafür das Akzeptieren von anderen Vorgehensweisen die entsprechende Basis. Eben auch mit dem Vertrauen, dass „mehrere Wege nach Rom führen“ und dass die beste Motivation das Zutrauen in die Fähigkeiten des Partners ist. Damit stärke ich dessen Verantwortungsgefühl, dessen Engagement und auch dessen Selbstvertrauen, was wiederum automatisch zu höherem Einsatz und besserem Ergebnis führt.
- U = Unparteilichkeit, Unabhängigkeit
Auch hier greife ich gerne auf das Beispiel von Helmut Schmidt zurück. Obwohl „Parteisoldat“ und erster Mann im Staate, war er nur seinem Gewissen verpflichtet („Für mich bleibt das eigene Gewissen die oberste, moralische Instanz“, aus seiner „Auschwitz-Rede“ im Jahr 1977). Menschen müssen das Gefühl haben, dass Verantwortliche nicht vorrangig zu ihrem eigenen, persönlichen Vorteil Entscheidungen treffen und stets das Wohl der „Partnerschaft“ und der Allgemeinheit im Auge haben. „Früher“ hat man diese Haltung auch als „Rückgrat“ bezeichnet, Vertrauen sollte deswegen eben nicht mit Abhängigkeit verwechselt werden, sondern mit Zutrauen in die betreffende Person und nicht in Programme oder Statuten.
- E = Ehrlichkeit
Vielleicht der „größte“ und damit auch der am schwierigsten zu bearbeitende Baustein im „Haus“ des Vertrauens. Fehler passieren, zugesagte Versprechen können beim besten Willen oft nicht eingehalten werden, manchmal erliegt man Verlockungen, so sehr man sich auch dagegen sträubt. Hier hilft es dann nicht, zu vertuschen, zu verschleppen, zu beschönigen, oder den gemachten Fehler abzustreiten. Offenheit und Ehrlichkeit und die Bitte nach „Entschuldigung“ ist gefragt, nur so hat man zumindest die Chance ein angeknacktes Verhältnis noch zu retten.
- N = Nicht aufgeben
Und an dem „angeknackten Verhältnis“ heisst es dann zu arbeiten, wiederum von beiden Seiten. Ist es schon nicht einfach Vertrauen zu gewinnen, ist es noch schwieriger, einmal entstandenes Misstrauen zu beseitigen und wieder vertrauensvoll zusammenzuarbeiten (oder zusammen zu leben). Wenn einem aber tatsächlich an einer Beziehung (Beruf, Partnerschaft, Lieferant-Kunde) etwas liegt, ist zu schnelles Aufgeben eine zu einfache Lösung. Außer, Vertrauen wird durch Begünstigungen „erkauft“, oder ständig missbraucht. In dieser Situation hilft dann wirklich nur die Lebensweisheit mit dem „Ende und dem Schrecken“, auch weil das eigene Leben einfach zu kostbar ist, um das das eigene Vertrauen an notorische Lügner und Betrüger zu verschwenden.
Auch mir fällt es sehr schwer, jemanden zu finden, der seine (Helmut Schmidt) Lücke schliessen und dem man gerade in diesen schwierigen Zeiten vertrauen könnte.
Was mir nur bleibt, ist, mich vor ihm zu verneigen und ihm nachzurufen (so wie er es sich gewünscht hat): Ja, "Du hast Deine Pflicht getan".
Ruhe in Frieden (und immer mit einer Packung Zigaretten...)
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