Ganzheitliche Führungskräfteentwicklung

Ideenskizzen für Verantwortliche in der Personalentwicklung

Immer häufiger fragen mich Verantwortliche in der Personalentwicklung von Unternehmen, wie eine „neue“ Führungskräfteausbildung aussehen könnte. Die Wünsche nach neuen Wegen und Konzepten steigen. Bevor wir aber neue Ausbildungsstrukturen überhaupt besprechen können, sollten wir fragen: „Was müssen Führungskräfte heute lernen?“ Darauf einmal eine schnelle Antwort: „Komplexität zähmen, Menschen als Menschen verstehen, Ganzheitlichkeit tief inhalieren, Corporate Sustainability als einzige Chance erkennen.“ Diese Antwort ist nicht umfassend, beinhaltet aber bereits eine wichtige Botschaft. Die klassischen Führungsaufgaben des Managements werden in Zukunft nicht mehr ausreichen. Es war die Aufgabe der Gutsverwalter, das Beste aus einem Gutsbesitz herauszuholen und den Besitz zu vergrößern. Diese einfache Direktive genügt nun nicht mehr. In der heutigen Zeit stehen wir vor spannenden Transformationen. Der Gutsverwalter muss sein Ledersofa verlassen und nach neuen Wegen suchen. Er muss die Widersprüche zwischen verändern und bewahren, zwischen Sorge und Pioniergeist, zwischen Steigerung und Ankunft und noch viel mehr ausbalancieren. Wir sprechen dann von Leadership anstatt von Management.

Hier einige neue Herausforderungen für Führungskräfte (inspiriert von Prof. Dr. Peter Kruse):

  • Steigende Komplexität verändert die Anforderungen (Erkennen von Zusammenhängen, Mustererkennung zur Reduktion von Komplexität, verringerte Planbarkeit, verschwimmende Ursache-Wirkung-Beziehungen, Nutzung der kollektiven Intelligenz (Intelligenz der Vielen) als Notwendigkeit, Reflexion als entscheidende Kompetenz, Intuition als Kompetenz für Entscheidungen…)
  • Verlagerung der Macht verändert das größere Spiel (in vernetzten Systemen entscheidet der Nachfrager, Märkte sind Dialoge geworden, emotionale Resonanz wird zu neuem Erfolgsfaktor, es gilt: „Willkommen in der Mitmachgesellschaft!“, die Führungskraft als Teilnehmer im Netzwerk und als Impulsgeber, Autonomie und Eigendynamik ist wichtiger als Hierarchie, Kooperation ist der Erfolgsfaktor, …)
  • Höhere Instabilität braucht mehr Veränderungsbereitschaft (Arbeitsverhältnis als Passage im Lernweg des Lebens, Führungskraft als Begleiter und Coach, in Netzwerken abnehmendes Zugehörigkeitsgefühl zur Organisation; instabile Phasen werden intensiver, länger und häufiger: daher ist „Leading Change“ die Herausforderung…)
  • Menschen mit neuen Bedürfnissen wollen anders geführt werden (Empowerment ist das neue Zauberwort; Attraktivität vor Loyalität; Leadership ist inspirierend, richtungsweisend, ausrichtend im Team; Self-Leadership wird die zentrale Herausforderung; Empathie, gelingende Beziehungen; dem Leben, der Arbeit, der Organisation einen Sinn geben; dabei nicht auf Zeitgeister hereinfallen; Achtsamkeit üben…)

Was wichtiger wird und daher gelernt werden sollte:

  •  Ganzheitliches Weltbild, ganzheitliches Menschenbild, Sustainable Development
  • Systemdenken, denken in vernetzten Systemen, Verständnis von Komplexität und Nichtlinearität, Mustererkennung, Selbstorganisation
  • Veränderungswissen, Umgang mit instabilen Situationen, Führen von Menschen in Veränderungsprozessen, „Leading Change“ statt „Change Management“
  • Entscheiden in komplexen Situationen, intuitive Entscheidungskompetenzen, intuitives Prozessieren, iterative Dialoge, Nutzung der Schwarm-Intelligenz
  • Emotionale Resonanz, Empathie und Dialogfähigkeit (zuhören), Konfliktlösung und Kommunikation, Balancieren von Widersprüchen
  • Gestaltung von lebendigen Beziehungen und vertrauensvollen Bindungen, Menschen emotional berühren und erreichen
  • Schaffung von „attraktiven Arbeitsplätzen“
  • Demokratisierung und Nutzung der Intelligenz der Menschen als Basiskompetenz
  • Persönlichkeitsentwicklung und Selbstführung als Grundlage jeder Menschenführung
  • (Self-Leadership)
  • Schnelles Lernen aus unmittelbaren Feedbacks, Lerndialoge, Peer-Groups
  • Corporate Sustainability, ganzheitliche Business Modelle, Tripple Bottom-Line
  • Soziale und gesellschaftliche Verantwortung (CSR = Corporate Social Responsibility)
  • Ganzheitliche Gesundheit, gesundes Führen, Umgang mit Stress, Stressheilung.
  • U.a.m.

Und jetzt?

Wie können nun all diese Schlagworte in ein Leadership-Programm gegossen werden? Da komme ich auf den einleitenden Satz zurück: Komplexität zähmen, Menschen als Menschen verstehen, Ganzheitlichkeit tief inhalieren, Corporate Sustainability als einzige Chance erkennen. In ihm steckt in Wirklichkeit alles drinnen, was wir brauchen und darauf lässt sich ein wirksames Leadership-Programm aufbauen. Damit aber kein neuer Wein in alte Schläuche abgefüllt wird, sollten wir die Programme ebenso an neue Bedürfnisse anpassen. Dazu einige Ideenskizzen:

  • Keine isolierten Programme, sondern Experimentierräume schaffen und parallel am schlagenden Herzen operieren. Die Ausbildung wird extern (in der Parallelarena) und mitten in der Organisation (in der Routinearena) stattfinden.
  • Großgruppendialoge zu den heißen Themen, Diskussionen voller Emotionen, gemeinsames Lernen in neuen Formaten sind für mich Bestandteile jeder modernen Führungskräfteentwicklung.
  • Spaß muss sein. Regelmäßige Events, beispielsweise ein humorvoller Austausch im Pecha Kucha-Format (http://www.pechakucha.org/) zur wechselseitigen Inspiration.
  • Attraktive Lernatmosphären schaffen, außergewöhnliche Lern- und Trainingspfade begehen
  • Flow-Teams, die als Peergroups Aufgaben bearbeiten und kreative Methoden der Selbstorganisation nutzen; visuelle Gestaltung von Themen; Symbole, Bilder und Geschichten nutzen
  • Einsatz neuer Medien: Podcasting, Videosequenzen, Slideshare-Portale, Content Curation in Teams, Webinare, eWorkshops und webbasierte Lernplattformen.

Meinen Sie nun, das alles geht bei Ihnen nicht? Ich habe dazu eine Erfahrung gemacht. Es ist in Organisationen meist viel mehr möglich, als wir es uns je getrauen, zu versuchen. Natürlich sind die aktuellen Strategien entscheidend dafür, was Führungskräfte brauchen. Aber ohne den neuen Spirit, den die Welt gerade unter Anstrengungen gebärt, scheint mir alles nur Zeit- und Geldverschwendung zu sein. Wer auf den Spirit der Ganzheitlichkeit auch morgen noch verzichtet, wird aufgrund der Einseitigkeit seines mechanistischen Denkens untergehen. Das Neue aber öffnet sich nicht einfach so. Wir müssen dafür einstehen, dafür kämpfen, Niederlagen in Kauf nehmen und alles geben. Aber auch das ist eine Erkenntnis: Wir haben viel mehr zu geben, als wir je gegeben haben. Wenn wir von Führungskräften verlangen, mutig an die Grenzen zu gehen, dann müssen wir ihnen etwas bieten, was sie die Grenzen erkunden lässt.

Eine zum Artikel passende Präsentation finden Sie auf Slideshare zum freien Download:
http://goo.gl/Nyn1yC

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