Arbeitszufriedenheit ist wichtig, aber nicht alles
Arbeitszufriedenheit ist heutzutage eine Führungsaufgabe. Zufriedene und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen mehr Leistung, bleiben dem Arbeitgeber treu und verbessern sein Image. So weit, so gut und richtig.
Doch ist Unzufriedenheit am und mit dem Arbeitsplatz tatsächlich immer schlimm? Unzufriedenheit kann doch auch ein Antrieb zur Veränderung sein, und Zufriedenheit mit einem eigentlich suboptimalen Zustand sollte doch nicht auf Dauer toleriert werden.
Hier kann eine Autorin aus der Motivationsforschung gute Anstöße und Hinweise geben, wie man mit zufriedenen und unzufriedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen sollte.
Agnes Bruggemann (Agnes Bruggemann: Zur Unterscheidung verschiedener Formen von Arbeitszufriedenheit. In Arbeit und Leistung 28(1974)) hat nicht danach gesucht, was Menschen grundsätzlich motiviert, sondern danach geforscht, wie Menschen auf den Unterschied zwischen ihren Erwartungen an die Bedürfnisbefriedigung am Arbeitsplatz und den tatsächlichen Möglichkeiten zu dieser Bedürfnisbefriedigung reagieren. Damit hat sie schon vor vierzig Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Diagnose und Gestaltung der Arbeitszufriedenheit geleistet (der wohl leider zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist).
Nach Bruggemann gibt es grundsätzlich 6 Möglichkeiten, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Erfüllung oder Nichterfüllung ihrer Erwartungen am Arbeitsplatz umgehen (die Begriffe in den Klammernstammen von ihr):
1. Man ist zufrieden und strebt voller Elan nach neuen Ufern (progressive Arbeitszufriedenheit).
2. Man ist zufrieden und alles soll so bleiben (stabilisierte Arbeitszufriedenheit).
3. Man macht sich was vor (Pseudo-Arbeitszufriedenheit).
4. Man hat es aufgegeben, etwas für eine höhere Arbeitszufriedenheit zu tun (resignative Arbeits „zufriedenheit“).
5. Man wird zum notorischen Nörgler (fixierte Arbeitsunzufriedenheit).
6. Man bemüht sich um Veränderung (konstruktive Arbeitsunzufriedenheit).
Diese Übersicht gibt jeder Führungskraft die Möglichkeit, gezielter nach der Arbeitszufriedenheit und möglichen Maßnahmen zum Abbau von Unzufriedenheit zu stellen. Außerdem zeigt die Übersicht, dass nicht jede Form von Unzufriedenheit per se schlecht ist und auch nicht jede Form von Zufriedenheit automatisch gut. Und das Modell zeigt ebenfalls sehr schön, dass sich die Arbeitszufriedenheit dynamisch entwickelt und immer auch im Vergleich zur erbrachten Leistung gesehen werden sollte; denn selbst resignierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können gute Leistungen vollbringen (wenn auch vielleicht mit miesepetrigem Gesicht).
Wenn Sie also herausfinden möchten, wie zufrieden Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich sind und wie Sie deren /Un-)Zufriedenheit konstruktiv nutzen können, dann können die folgenden Leitfragen für die tägliche Führungspraxis hilfreich sein:
- Möchten Sie Mitarbeitende in Ihrem Team haben, die sich gegen jede auch noch so einleuchtende und notwendige Veränderungen wehren und den (unproduktiven) Status quo aufrechterhalten wollen?
- Haben Sie Ihre Dauernörgler schon mal nach Ihren Verbesserungsvorschlägen gefragt, und wenn, diese einmal wirklich ernsthaft geprüft und anschließend den Nörglern ein konstruktives Feedback dazu gegeben? Denn: Wer motzt, macht noch mit.
- Haben Sie mit den Scheinzufriedenen, die sich was vormachen, mal über ihre tatsächliche Arbeitszufriedenheit gesprochen und sie um Verbesserungsvorschläge gebeten?
- Haben Sie schon einmal versucht, jemand „Resignierten“ zu „reaktivieren“, indem sie mal in Ruhe zuhören und um Verbesserungsvorschläge bitten?
- Unterstützen Sie ausreichend die konstruktiv Unzufriedenen bei der Umsetzung von deren sinnvollen Veränderungsvorschlägen?
- Und: Weiß ich überhaupt, ob meine Sichtweise und „Kategorisierung“ meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach obigen Kriterien zutrifft?
Falls Sie es also genau wissen möchten, dann fragen Sie doch einmal nach und prüfen Sie, ob überhaupt aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Veränderungsbedarf vorliegt bzw. es strategische Gründe gibt, die aktuelle Situation zu verändern, weil die herrschende „Zufriedenheit“ einer höheren Produktivität im Wege steht.
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