Unternehmensethik

engl. : corporate ethics

permanenter Prozess kritischer Reflexion der normativen Bedingungen unternehmerischen Handelns, der die Verantwortung des Unternehmers zur Initiierung dialogischer Verständigung mit Betroffenen akzentuiert, um begründete prozessuale und materiale Normen (-> Normen und Werte) selbstbindend in Kraft zu setzten.

Für eine begriffliche Bestimmung von Unternehmensethik ist zunächst die Unterscheidung von Moral, Ethos und Ethik fundamental:

  • Als Moral bezeichnet man die Gesamtheit faktisch herrschender Normen und Werte, die innerhalb eines bestimmten Gesellschafts- und Kulturkreises, zum Beispiel eines Landes, als allgemein verbindlich Anerkennung finden und für die Mitglieder dieser Gemeinschaft handlungsanleitend wirken.
  • Unter Ethos hingegen versteht man das individuelle Wertegefüge einer einzelnen Person und die damit verbundene Akzeptanz, sich entsprechend verinnerlichter Werte und Normen zu verhalten.
  • Unter Ethik versteht man schließlich die wissenschaftliche Reflexion des Problembereichs Moral, verbunden mit deren theoretischer Herleitung, Systematisierung und theoriegestützter Anwendung (Kreikebaum, Behnam und Gilbert 2001). Ethos und Moral beziehen sich folglich auf konkret praktische Problembestände, während die Ethik versucht, aus normativ, reflektierender Sicht Maßstäbe für gutes und gerechtes Handeln zu geben (-> Gerechtigkeit).

Als wissenschaftliche Disziplin unterteilt man Ethik in die deskriptive und die normative Ethik. Während die deskriptive Ethik beschreibt, wie sich Menschen tatsächlich verhalten, versucht die normative Ethik Antwort auf die Frage zu geben, wie sie handeln sollten. Die normative Ethik als der wichtigste Bereich der praktischen Philosophie lässt sich wiederum unterteilen in die materiale und die formale Ethik. Materiale Ethiken gehen davon aus, dass sich konkrete Normen und Werte aus religiösen Vorstellungen ableiten oder in der sozialen Praxis linden lassen, an denen Menschen ihre Handlungen ausrichten sollten (z. B. Christliche Ethik). Formale Ethiken dagegen verzichten auf die Vorgabe konkreter materialer Normen zugunsten der Ableitung formal-prozeduraler Dialogprinzipien, die lediglich aufzeigen, wie ethische Reflexionsprozesse auszuführen sind (z. B. Diskursethik). Man geht in diesem Fall davon aus, dass eine Ethik nur dann intersubjektive Geltung erlangen kann, wenn sie nicht auf von Traditionen und Religion beeinflussten Normen beruht, sondern Individuen das moralisch Gute mittels prozessualer Normen in Dialogen beziehungsweise Diskursen selbst bestimmen können (Habermas 1992).

Die Unternehmensethik bietet eine Orientierung hinsichtlich der normativen Prinzipien, an denen Entscheidungsträger ihre Handlungen ausrichten sollen, um mit situationsbedingt verschiedenen Norm- und Wertvorstellungen konstruktiv umzugehen (Steinmann und Löhr 1992). Gleichzeitig sensibilisiert die Unternehmensethik für die Notwendigkeit, strukturelle und organisationskulturelle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich ethische Reflexion in Unternehmen entfalten kann (-> Ethikmaßnahmen).

Ausgehend von diesem Grundverständnis hat sich im angloamerikanischen und deutschen Sprachraum in den letzten 20 Jahren eine heftige Diskussion zur Unternehmensethik entwickelt. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, die das Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomie verschieden beantworten (Kreikebaum, Behnam und Gilbert 2001). Einigkeit besteht jedoch darin, dass die Beschäftigung mit Unternehmensethik zwingend notwendig erscheint, denn unternehmerisches Handeln enthält neben der ökonomischen immer auch eine ethische Dimension. Letztlich fließen in jede Entscheidung individuell geprägte Wert- und Normvorstellungen als "moralische Vorprägungen" der Entscheidungsträger ein. Diese bieten Ansatzpunkte für eine gezielte ethische Reflexion. Beim Entscheidungsprozess nehmen sie Einfluss auf die Informationssuche, -verarbeitung und -bewertung, die der konkreten Entscheidung vorausgehen. Einen "moralfreien Raum" gibt es demnach für unternehmerische Entscheidungen nicht (Gilbert 2003).

Der Hinweis darauf, dass für Unternehmen eine Notwendigkeit besteht, ethische Verantwortung zu übernehmen, stößt in der Praxis oft auf die Kritik, dass moralisch einwandfreies Verhalten lediglich Kosten verursacht und negative ökonomische Konsequenzen hat. Viele Ökonomen verweisen ethische Reflexion sogar in das Gebiet der Philosophie und betonen das Gewinnprinzip als Leitidee unternehmerischen Handelns. Nach neoklassischem Verständnis ergibt sich aus dem Gebot der Gewinnmaximierung letztendlich sogar die vollständige Entlastung von ethischer Verantwortung für die Unternehmen. Nach dem Verständnis einer modernen Unternehmensethik ist Gewinn als Ziel unternehmerischen Handelns nach wie vor eine notwendige Voraussetzung, um den Unternehmensfortbestand zu sichern. An die Stelle der klassischen Gewinnmaximierung tritt jedoch eine multidimensionale Zielfunktion, die neben dem Gewinn auch moralische Orientierungsgrößen aufweist. Nach Ulrich (2002), dem prominentesten Vertreter der Unternehmensethikdiskussion im deutschsprachigen Raum, muss sich eine Grundkonzeption wirtschaftlicher Vernunft demzufolge letztlich an ihrer Lebensdienlichkeit für sämtliche Anspruchsgruppen eines Unternehmens messen lassen. Was aber ist lebensdienlich? Diese Frage ist exante nicht einfach beantwortbar, sondern nur im Rahmen unternehmensethischer Reflexionsprozesse.

Den am weitesten entwickelten Ansatz, um unternehmensethische Reflexion in der Praxis umzusetzen, bezeichnet die so genannte integrative Unternehmensethik (Ulrich 2001, 2002), in der sich jedes Erfolgs- und Gewinnstreben kategorisch den normativen Bedingungen der Legitimität unternehmerischer Entscheidungen unterzuordnen hat. Unternehmen sollen kontinuierlich ethische Verantwortung übernehmen und ökonomischen Erfolg ausschließlich mit gesellschaftlich legitimen Strategien erreichen. Strategische Kalküle müssen diesem Verständnis nach stets in eine unternehmensethische Wertorientierung eingebettet und von dieser her sinnvoll begründet sein. Unternehmen müssen sich der Problematik bewusst sein, dass ohne die Berücksichtigung der vielfältigen ethischen, ökologischen und sozialen Ansprüche, Bedürfnisse (-> Motiv) und Interessen betroffener Anspruchsgruppen auf lange Sicht auch keine ökonomischen Erfolgspotenziale realisierbar sind. In der Unternehmenspraxis gilt es deshalb dauerhaft Dialoge mit von Entscheidungen Betroffenen zu initiieren, da sich der Aufbau kommunikativer Verständgungspotenziale zunehmend als Notwendigkeit und Voraussetzung für die langfristige Erzielung strategischer Erfolgspotenziale erweist (Steinmann und Löhr 1992). Widerstände, Goodwill- und Legitimitatsverluste sowie deren unabschätzbare Folgekosten erscheinen dann steuer- oder zumindest beherrschbar.

Durch dialogische Verständigung kann es gelingen, externe Effekte zu internalisieren, indem Betroffene selbst in die Willensbildung einbezogen werden (Gilbert 2003). Das strategische Risiko von Fehlentscheidungen reduziert sich entscheidend, weil die Bedürfnisse von Betroffenen explizit Berücksichtigung finden und ihre Reaktionen besser antizipierbar werden. Ein solchermaßen dialogisches Verständnis von Unternehmensethik erhöht die Chance, frühzeitig existenzielle Bedrohungen aufgrund unbefriedigter Anspruchsgruppen zu erkennen und Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen zu erzielen, weil verständigungsorieniert handelnde Konfliktparteien ihren Einsatz- und Leistungsbeitrag bereitwilliger steigern (Ulrich 2001). Die Beschäftigung mit Unternehmensethik verfolgt deshalb keine rein idealistischen Motive, sondern resultiert gleichermaßen aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen.

Von der Unternehmensethik klar abzugrenzen gilt es die Wirtschaftsethik. Beide Ethiken unterscheiden sich nicht bezüglich des grundsätzlichen Vorgehens und ihrer Aufgabe, ethische Reflexion in Gang zu setzen, sondern lediglich in ihrem Betrachtungsgegenstand. In der Wirtschaftsethik steht die Gesamtheit aller Wirtschaftsakteure im Vordergrund, bei der Unternehmensethik lediglich das einzelne Unternehmen und dessen Mitarbeiter. Nach diesem Verständnis stellt sich Unternehmensethik deshalb immer auch als Individualethik dar, im Sinne der Entscheidungen von handelnden Personen. Es gilt jedoch vor einem individualistischen Missverständnis zu warnen. Unternehmerische Entscheidungen werden in interdependenten Handlungszusammenhängen getroffen, das heißt, es besteht stets eine kollektive Verantwortung der Entscheidungsträger und damit des Unternehmens, die über Eigenverantwortung Einzelner hinausgeht.

Im System Unternehmen erfolgt eine wechselseitige Beeinflussung zwischen den Strukturen des Systems und den Individuen, die diese entscheidend mitprägen. Individuelle Handlungen bewirken erst durch ihre Koordination Handlungen des Akteurs Unternehmen und bedürfen der Vorgabe von ethischen Handlungsorientierungen, um die verantwortungsbewusste Nutzung unternehmerischer Handlungsfreiräume zu gewährleisten. Eine Personifizierung des Unternehmens gilt es allerdings abzulehnen, weil es ohne die Handlungen der Individuen gar nicht handlungsfähig wäre. Akzeptiert man diese Sichtweise, folgt daraus unmittelbar, dass in Unternehmen alle einzelnen Akteure gemeinsam zur Verantwortung für ihre Handlungen gezogen werden, ohne dass der Einzelne dadurch aus der Verantwortung genommen wird. Die private Moral und die von Unternehmen unterscheidet sich demnach nur hinsichtlich ihres Organisationsgrades. Zur individuellen Verantwortung tritt nun auch eine institutionelle, und an Unternehmen als organisierte Institutionen werden Forderungen von Seiten verschiedenster Anspruchsgruppen gestellt.

Unternehmen sind insofern weniger als ein autonomer Akteur zu betrachten, sondern vielmehr als ein von Individuen gemeinsam verfolgtes Normengefüge, welches sich in institutionalisierten Rahmenbedingungen Geltung verschafft. Diese Auffassung betrachtet Unternehmen zwar als die maßgeblichen Handlungsträger, darf aber keinesfalls dazu führen, die ethische Verantwortung der Individuen zu negieren. Im Rahmen einer Beschäftigung mit Unternehmensethik ermöglicht letztlich nur eine integrierte Sichtweise der Mikro- (Individuum), Meso- (Unternehmen) und Makroebene (Rahmenordnung) die vollständige Betrachtung des Verantwortungsbegriffs, ohne dass es auf den einzelnen Ebenen zu einer ethischen Überforderung kommt. Unternehmensethische Reflexion und aus diesen Dialogprozessen resultierende Entscheidungen müssen sich immer sowohl an den unternehmerischen Rahmen als auch dem außerorganisatorischen Kontextbedingungen der Wirtschaft (Gesetze, Markt, Kultur, Moral) orientieren.