Anwendungssystem

engl. : application system

integrierte Einheit aus Hard- und Softwarekomponenten, die für die Bewältigung betrieblicher Problem- und Aufgabenstellungen eingesetzt wird.

Die Hardwarekomponente (-> Hardware) lässt sich in Computerhardware und sonstige Hardware (bspw. Peripherie) gliedern. Bei Anwendungssoftware unterscheiden Mertens et al. (2005) zwischen Standard- und Individualsoftware.

Unter Standardsoftware werden Produkte verstanden, die für den Massenmarkt konzipiert worden sind. Sie zeichnen sich durch eine gewisse Hardwareunabhängigkeit aus. Dadurch können sie in der Regel mittels Selbstinstallationsroutinen auf die Computerhardware der Anwender aufgespielt und aktiviert werden. Abhängig von den Anforderungen der Anwender und der Komplexität der Anwendungssoftware sind Anpassungen (Customizing) der Standardsoftware vorzunehmen, die jedoch nur in einem begrenzten Umfang möglich sind. Diese Anpassungen erfolgen durch die Einstellung von Parametern und die Konfiguration beziehungsweise das Schaffen von Schnittstellen, so dass der eigentliche Programmcode der Kernanwendung (Quellcode) nicht verändert werden muss.

Mertens et al. (2005) definieren für Standardsoftware die folgenden vier Unterklassen:

1. Basissoftware: Übernimmt grundlegende Funktionalitäten wie eMail-Kommunikation inkl. Adressverwaltung oder Virenscanner.

2. Standardbürosoftware: Hat in der Vergangenheit zu der weiten Verbreitung von Personalcomputern beigetragen. In der Regel werden Aufgaben wie Textverarbeitung, Präsentationsgrafik, Desktop-Publishing, Tabellenkalkulation, Datenbankverwaltung oder Webseitenerstellung mit Standardsoftware ausgeführt.

3. Funktionsorientierte Standardsoftware: Lösungen, die eine Funktion oder funktionsübergreifend mehrere Anwendungsbereiche in einem Unternehmen aus betriebswirtschaftlicher Sicht unterstützen. Keller (1999) spricht im letzteren Fall von funktionsübergreifender integrierter Standardsoftware, welche sich in Module gliedert, die auf eine gemeinsame Datenbasis zugreifen. Beispielhafte Ausprägungen solcher Standardprogramme bezeichnen Hansen und Neumann (2005) als Enterprise Resource Planning-Systeme. Die Grenzen zwischen funktions- und prozessorientierter Standardsoftware verlaufen fließend.

4. Prozessorientierte Anwendungssoftware: Lösungen, die Prozesse unterstützen, welche sich quer durch die Funktionsbereiche des Unternehmens ziehen. Entsprechende Workflow-Management-Systeme bilden in diesem Zusammenhang nach Picot et al. (1998) Geschäftsprozesse für insbesondere administrative Aufgabenbereiche im Unternehmen ab, wobei die damit verbundene (teilweise automatische) Vorgangsabwicklung durch die sequenzielle und/oder parallele Anordnung der jeweiligen Arbeitsschritte vorgenommen wird.

Sofern für spezielle betriebliche Anforderungen Programme angefertigt werden, handelt es sich nach Mertens et al. (2005) um Individualsoftware. Aufgrund des Zuschnitts auf die speziellen Wünsche des Benutzers können sie nicht auf andere Anwendungszwecke oder Einsatzorte portiert werden. Standardsoftware kann entweder selbst im Unternehmen (in der ITV-Abteilung und/oder in den entsprechenden Fachabteilungen) entwickelt oder fremdbezogen werden. Herausforderung ist hier, die Entwicklung der Anwendungssoftware technisch und finanziell zu bewältigen.

Wegen der oft hohen Entwicklungskosten der Individualsoftware halten Mertens et al. (2005) fest, dass auch in größeren Unternehmen zunehmend zu beobachten ist, dass vermehrt Teile von Standardsoftware zum Einsatz kommen. Demgegenüber wird der Einsatz von Individualsoftware nur dann erwogen, wenn Standardlösungen nur ein unzureichendes Funktionsspektrum bereitstellen können, um bestimmte Problem- oder Aufgabenstellungen zu lösen. Sofern auch die zugehörige Hardwareumgebung individuell konfiguriert und gegebenenfalls angefertigt werden muss, kann von individuellen Anwendungssystemen gesprochen werden.

Betriebliche Anwendungssysteme für den operativen Bereich gliedert Stahlknecht und Hasenkamp (1999) nach Administrations- und Dispositionssystemen:

  • Administrationssysteme: Kommen vornehmlich für die Rationalisierung von (vorhandenen) Abläufen in betrieblichen Grund- und Querschnittsfunktionen zum Einsatz (bspw. Vornehmen von Materialbuchungen in der Lagerhaltung oder Abwicklung der Arbeitszeiterfassung im Personalwesen).
  • Dispositionssysteme: Zielen auf die Verbesserung der im operativen Betrieb zu treffenden Entscheidungen ab (bspw. Erstellung eines optimalen Maschinenbelegungsplans in der Produktion oder eines Personaleinsatzplans).

Neben den vorgenannten operativen Systemen unterscheiden unter anderem Mertens et al. (2005) Planungs- und Kontrollsysteme:

  • Planungssysteme: Sollen auf der Management-Ebene gewährleisten, dass für (langfristige) Planungen zuverlässige Daten zur Verfügung stehen und mögliche Alternativen systematisch berücksichtigt werden. Mit Planungssystemen können beispielsweise aus Vergangenheitsdaten, Erfahrungswerten oder anderweitigen Informationen beziehungsweise Sachverhalten Soll-Vorgaben gebildet werden (bspw. ein Umsatzplan oder Finanzplan für einen zukünftigen Zeitraum).
  • Kontrollsysteme: Überwachen das operative Betriebsgeschehen im Unternehmen im Hinblick auf das Erfüllen der zuvor festgelegten Soll-Vorgaben und lenken die Aufmerksamkeit von Fach- und Führungskräften auf beachtenswerte Datenkonstellationen. Sofern nennenswerte Planabweichungen vorliegen (bspw. das nicht Erreichen eines Umsatzzieles oder die Überschreitung eines Finanzbudgets über einen vorab bestimmten Schwellenwert), wird eine entsprechende Information (teil-)automatisch generiert. Kontrollsysteme zeigen ebenfalls auf, wo gegebenenfalls tiefer gehende Analysen einzuleiten sind (z. B. bei Störungen) und welche Abhilfemaßnahmen zu ergreifen sind. Hierfür werden die Symptome und Ursachen des Verfehlens aufgezeigt und untersucht.

Das Entwickeln beziehungsweise Anpassen von Anwendungssystemen zum computergestützten Bearbeiten betrieblicher Aufgaben ist ein zentraler Gegenstand der Wirtschaftsinformatik. Stark vereinfacht geht es bei der Anwendungssystementwicklung darum, mit geeigneten Vorgehensweisen und Methoden die fachlichen sowie organisatorischen Anforderungen eines Unternehmens zu spezifizieren und in ablauffähige Anwendungssysteme umzusetzen. Die so entwickelten Produkte sollen die Nutzer bei einem effizienten, sachgerechten Ausführen ihrer Tätigkeiten (bspw. in der Auftragsabwicklung oder im Personalwesen) unterstützen.

Bei der Anwendungssystementwicklung und -einführung muss (zumindest bei größeren Aufgabenstellungen) mit einer hohen Komplexität gerechnet werden, demzufolge sind eine Vielzahl von Aufgaben zu lösen. Um diese Komplexität zu reduzieren, halten es unter anderem Schumann et al. (1994) für notwendig, planvoll und systematisch vorzugehen. Dabei ist der gesamte Ablauf in einzelne, überschaubare Aufgabeneinheiten mit begrenztem inhaltlichen und zeitlichen Umfang zu gliedern, die dann sukzessive oder (sofern möglich) parallel durchlaufen werden.

Zwei grundsätzliche Vorgehensweisen zur Anwendungssystementwicklung sind das phasenorientierte Vorgehen und das Prototyping. Mit der Kombination beider Vorgehensweisen wird versucht, die jeweiligen Vorteile der Verfahren miteinander zu vereinen.

Mertens et al. (2005) gliedern die phasenorientierte Entwicklung von individuellen Anwendungssystemen in sechs in sich abgeschlossene Spezifikationsschritte mit nachzuweisenden Ergebnissen:

1. Planungsphase: Hier wird die Projektidee auf hohem Abstraktionsgrad beschrieben. Ebenfalls werden die Ziele des Anwendungssystems definiert und eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vorgenommen. Das Ergebnis dieser Phase stellt das potenzielle Projekt dar.

2. Definitionsphase: Hier werden vor allem fachliche Anforderungen spezifiziert. Dies geschieht durch eine Analyse der relevanten Aufgaben und des hiermit verbundenen Unterstützungsbedarfs. Hierzu wird der Ist-Zustand eruiert und eine Schwachstellenanalyse vorgenommen. Mittels der Ergebnisse wird ein Soll-Konzept entworfen, wobei insbesondere funktionale, qualitative und ökonomische Aspekte Einfluss auf die Gestaltung haben. Sämtliche Ergebnisse werden in einem Pflichtenheft niedergeschrieben.

3. Entwurfsphase: Erstellung eines Fachentwurfs auf Grundlage des Pflichtenhefts. Der Fachentwurf stellt die Funktionen sowie ihre Zusammenhänge und die zu verarbeitenden Daten dar. Die Visualisierung des Fachentwurfs erfolgt mittels Funktions-, Daten- und Objektmodellen. Zusätzlich wird die potenzielle Benutzungsoberfläche entworfen. Im zweiten Teilschritt wird der zuvor erstellte Fachentwurf in einem in informationsverarbeitungstechnischen Entwurf überführt und verfeinert. Hier werden die Umgebungsbedingungen der (zukünftigen) Hardware, der Systemsoftware und/oder der zu verwendenden Programmiersprache berücksichtigt. Ebenfalls sind weitere informationsverarbeitungstechnische Aspekte zu berücksichtigen. Als Ergebnis liegt eine Gesamtstruktur (der Komponenten) des Anwendungssystems vor. Darüber hinaus entstehen Programmmodule, mit denen die angepeilten betriebswirtschaftlichen Funktionen realisiert werden sollen, wobei zusätzlich ihre zeitliche und logische Einbindungen werden in das System fixiert. Ebenfalls werden Daten- und Dateistrukturen festgelegt.

4. Implementierungsphase: Hier wird der vorliegende Systementwurf bis auf die Ebene einzelner Anweisungen detailliert und mittels einer Programmiersprache codiert, wobei zuvor durch Feinkonzepte die Datenschemata, Datei- und Datenbankbeschreibungen festgelegt werden. Anschließend werden alle Programmmodule und das gesamte Anwendungssystem einem ausführlichen Systemtest unterzogen.

5. Abnahme- und Einführungsphase: Hier wird mittels der durch den Auftraggeber festgelegten Kriterien geprüft, ob das Anwendungssystem den Anforderungen des Pflichtenhefts genügt. Anschließend wird das Anwendungssystem in Betrieb genommen, nachdem eine Anwenderschulung erfolgt ist.

6. Wartungsphase: Häufig werden Fehler in einem Anwendungssystem erst im produktiven Betrieb aufgedeckt, die dann im Rahmen der Wartungsphase eliminiert werden. Oft ändern sich Benutzerwünsche oder externe Einflüsse machen eine Überarbeitung des Anwendungssystems zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich. Dies sind Gründe, weswegen die Wartungsphase im Lebenszyklus eines Anwendungssystems häufig bis zu 50% des gesamten Entwicklungsaufwandes ausmachen kann.

Falls sich Unternehmen nicht für die Entwicklung von Individualsoftware, sondern für den Einsatz integrierter Standardsoftware entscheiden, kann nach Mertens et al. (2005) eine sukzessive Einführung des Systems, angepasst an die bestehenden Organisationsstrukturen im Unternehmen, funktions-, modul- oder prozessorientiert, erfolgen.

Obwohl im Gegensatz zur Entwicklung von Individualsoftware beispielsweise der Neu-Programmieraufwand wegfällt, sollte dennoch mit Projektlaufzeiten von mehreren Monaten gerechnet werden, wobei die Personalkosten häufig die Anschaffungskosten der Softwarelizenzen um ein Vielfaches übersteigen können. Insbesondere komplexe Enterprise Resource Planning-Systeme erfordern häufig eine Reorganisation der vorhandenen Geschäftsprozesse, um die betrieblichen Abläufe an die Erfordernisse der Software anzupassen.

Projekte zum Einführen von Standardsoftware laufen in ähnlicher Form ab, wie die bei der individuellen Entwicklung von Anwendungssystemen, wobei Mertens et al. (2005) drei Grundphasen definieren:

1. Auswahlphase: Auswahl eines geeigneten Softwareproduktes sowie Entscheidung darüber, welche vorgefertigten Module des Produkts im Unternehmen zu implementieren sind. Hier kommen in ähnlicher Weise die zuvor beschriebenen Aufgaben zum Erstellen des Pflichtenheftes und des Anforderungskatalogs zum Einsatz. Die Anforderungen sind hierbei in Muss- und Kann-Kriterien zu gliedern, wobei die erstgenannten zwingend zu erfüllen sind. Nach ähnlicher Beschreibungsweise werden die Menge und der Zeitpunkt der einzuführenden Module der Standardsoftware bestimmt.

2. Einführungsphase: Beginnt mit der technischen Installation der Software auf die vorgesehene Hardware des Unternehmens. Dieser Schritt kann häufig durch technische Mitarbeiter des Unternehmens vorbereitet werden, wobei die konkrete Installation (insbesondere bei komplexen Produkten) durch den Softwareanbieter erfolgt. Nachdem die Software aufgespielt ist, werden die Module an die geforderten Eigenschaften der Funktionen und Prozesse des Unternehmens im Rahmen des Customizing (-> Personalwirtschaftliche Anwendungssoftware) angepasst. Häufig muss an dieser Stelle das neue Anwendungssystem in die IT-Infrastruktur des Unternehmens integriert werden, indem Schnittstellen zu anderen beziehungsweise vorhandenen Systemen geschaffen werden. Die abschließenden Parametereinstellungen beziehen sich auf die Art und Weise, wie die mit der Software abgebildeten betrieblichen Objekte später im laufenden Betrieb zu behandeln sind (beispielsweise die Festlegung von Meldebeständen zur Nachbestellung in Dispositionssystemen oder die Bestimmung der Toleranzgrenzen beim Über- und Unterschreiten von Soll-Werten bei Kontrollsystemen). Nach der Konfiguration der Software werden die Datenbestände in das System eingespielt und auf ihre Qualität hin überprüft. Vor der Übernahme in den produktiven Betrieb werden umfangreiche Tests durchgeführt, um zu gewährleisten, dass die Anforderungen des Pflichtenheftes korrekt umgesetzt wurden. Ebenfalls wird mittels Belastungstests (bspw. hohes Transfervolumen bei Administrationssystemen) die Software auf ihre Stabilität getestet.

3. Betriebsphase: Beginnt mit dem Start des Systems (Herausholen aus der Testumgebung) und wird durch die laufende Wartung begleitet. Auch hier müssen zuvor die Mitarbeiter hinreichend geschult werden. Ebenfalls können im laufenden Betrieb Korrektur- und Änderungsanlässe auftreten, wie sie zuvor bei der Entwicklung von Individualsoftware beschrieben wurde. Hinzu kommt, dass die Wartung von Standardsoftware häufig mit sogenannten Releasewechseln einhergeht, wo herstellerseitig neben der Fehlerbeseitigung auch neue Funktionalitäten oder Weiterentwicklungen umgesetzt werden.

Phasenorientierte Vorgehensweisen sind besonders in der Projektgrobplanung eine gute Hilfestellung, um Entwicklungs- beziehungsweise Anpassungsvorhaben in sinnvolle Arbeitsschritte zu gliedern. Bei der Feinplanung oder der konkreten Durchführung des Projektes ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die einzelnen Phasen nicht immer strikt voneinander abgrenzen lassen oder dass Rücksprünge zu vorhergehenden Arbeitsschritten auftreten können.

Das Personalmanagement wird in weiten Teilen von personalwirtschaftlichen Programmen unterstützt, die Problemlösungen der Personalarbeit darstellen und Anwender bei der Bearbeitung personalwirtschaftlicher Aufgaben unterstützen oder diese ergänzen beziehungsweise ersetzen. Generell gilt, dass mittlerweile für alle personalwirtschaftlichen Aufgabenfelder Anwendungssysteme existieren.