Anreizsystem

engl.: incentive scheme

Summe aller Anreize, die den Beschäftigten eines Unternehmens (oder allgemeiner den Mitgliedern einer Organisation) angeboten werden, um ihre Leistungen zu erhalten und ihren Verbleib im Unternehmen zu sichern.

Ein zentrales Merkmal von Anreizsystemen ist ihre Steuerungswirkung. Sie ergibt sich aus den Zielen, auf die das System ausgerichtet ist. Gmür und Thommen (2005) unterscheiden und kombinieren sechs grundlegende Ausrichtungen:

1. Leistungsorientierung: Ein leistungsorientiertes Anreizsystem ist durch einen hohen Anteil variabler Vergütungen gekennzeichnet, die vor allem von den individuellen Leistungen abhängig sind (-> Leistungsgehalt). Kurz- und mittelfristige Erfolge stehen in der Regel gegenüber den Beitragen zu einer langfristigen Entwicklung im Vordergrund. Die Aufstiegschancen hängen ebenfalls in erster Linie von den erreichten Ergebnissen ab, während Seniorität oder Qualifikationen nachrangig sind.

2. Strategieorientierung: In einem strategieorientierten Anreizsystem steht die laufende Abstimmung mit den strategischen Marktzielen des Unternehmens im Vordergrund. Die Anreizstrukturen wechseln mit den strategischen Prioritäten. Ein solches System setzt eine Klarheit über die strategischen Ressourcen und Kernkompetenzen des Unternehmens voraus.

3. Flexibilitätsorientierung: Ein flexibilitätsorientiertes Anreizsystem zielt auf die Sicherung der Anpassungsfähigkeit des Unternehmens. Dabei stehen insbesondere die Förderung breiter Qualifikationsprofile (-> Mehrfachqualifikation, Metaqualifikation, Qualifikationslohn) und Anreize für die Einsatzflexibilität der Beschäftigten im Vordergrund.

4. Entwicklungsorientierung: Während in der Flexibilitätsorientierung die kurzfristige Anpassungsfähigkeit betont wird, soll durch ein entwicklungsorientiertes Anreizsystem die längerfristige Anpassungsfähigkeit an Marktentwicklungen unterstützt werden. Es bewertet lnnovationsbeiträge höher als kurzfristige Leistungserträge, sowohl was variable Gehaltsanteile als auch Aufstiegschancen im Unternehmen betrifft. Einen wichtigen Stellenwert haben in einem entwicklungsorientierten Anreizsystem insbesondere Weiterbildungsangebote.

5. Integrationsorientierung: Ein Anreizsystem, das die Leistungen und Ergebnisse von Teams und Abteilungen stärker gewichtet als die individuellen Beiträge (-> Teamanreiz), stärkt den Zusammenhalt zwischen den Beschäftigten. Auch ein Kapitalbeteiligungsmodell, das für die gesamte Belegschaft offensteht (-> Belegschaftsaktie), und eine Gewinnbeteiligung, die nicht nach individuellen Leistungen differenziert, zielen vor allem auf die Integration im Unternehmen.

6. Bindungsorientierung: Bindungsorientierte Anreizsysteme zielen auf das Commitment der Beschäftigten und damit vor allem auf eine Minimierung von Fehlzeiten und ungeplanter Fluktuation. Seniorität ist ein wichtiges Kriterium für den Aufstieg im Unternehmen, und auch die variable Vergütung berücksichtigt als ein Kriterium die Dauer der Betriebszugehörigkeit (-> Personalbindung).

Das Anreizsystem eines Unternehmens erstreckt sich über die Vergütungs- und Weiterbildungspolitik, über das Beurteilungssystem, Beförderungsentscheidungen (-> Beförderung) und die Gestaltung und Organisation der Aufgaben.

Nach ihrer Form lassen sich nach Klimecki und Gmür (2005) die Elemente eines Anreizsystems in drei Gruppen mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Handlungsspielräume des Unternehmens und die Motivationswirkung für den Beschäftigten untergliedern:

Freie materielle Anreize sind Geldleistungen des Unternehmens, die anforderungs- oder leistungsabhängig ausgezahlt werden und über deren Verwendung der Beschäftigte jederzeit frei verfügen kann. Auf der freien Verwendbarkeit beruht ein Teil ihrer Motivationswirkung. Für das Unternehmen besteht der Nachteil gegenüber gebundenen Anreizen im Liquiditätsabfluss.

Gebundene materielle Anreize sind geldwerte Leistungen des Unternehmens, deren Weiterverwendung für den Beschäftigten eingeschränkt ist. Zu den wichtigsten gebundenen Leistungen zählen Versicherungsleistungen, Kapitalbeteiligungen und Naturalleistungen.

  • Versicherungsleistungen: Ergänzen die gesetzlich vorgegebenen Pflichtversicherungen und erlangen inzwischen auch in Deutschland in dem Maße zunehmende Bedeutung, wie die staatlichen Sicherungssysteme ihre Leistungen kürzen. Diese Versicherungen erweitern in den meisten Fällen die gesetzliche Altersvorsorge. Neben steuerlichen Vorteilen stärkt eine Betriebsrente auch die Bindung des Beschäftigten an das Unternehmen (Deferred Compensation). Gleichzeitig werden diese Leistungen im Normalfall erst mit dem Verlassen des Unternehmens liquiditätswirksam.
  • Kapitalbeteiligungen: Lassen sich danach unterscheiden, ob sie Eigen- oder Fremdkapitalcharakter haben. Zu den wichtigsten Eigenkapitalbeteiligungen zahlen die Belegschaftsaktie und der GmbH- beziehungsweise Kommanditanteil. Fremdkapitalbeteiligungen sind das Genussrecht, die stille Beteiligung und das Mitarbeiterdarlehen. Abgesehen von der Liquiditätswirkung erhoffen sich Unternehmen auch mit der Kapitalbeteiligung eine höhere Identifikation und Bindung an das Unternehmen.
  • Naturalleistungen: Sind geldwerte Nebenleistungen des Unternehmens wie Betriebskantine, Betriebskindergarten, Sportaktivitäten, die Verfügung über einen Dienstwagen oder eine günstige Werkswohnung. Mit solchen Leistungen kann sich ein Unternehmen ein Image als attraktiver Arbeitgeber (Employer Branding) aufbauen. Auch die betriebliche Weiterbildung ist eine anreizwirksame Naturalleistung, wenn der Beschäftigte damit seinen Arbeitsmarktwert steigern kann. Solche Leistungen sind unter finanziellen Gesichtspunkten für ein Unternehmen dann interessant, wenn es die Leistungen deutlich unter dem Marktpreis bereitstellen kann. Das gilt insbesondere auch für Unternehmen, die ihren Mitarbeitern die eigenen Produkte zu besonders günstigen Konditionen anbieten.

In dem Maße, wie die gebundene Leistung aus Sicht der Beschäftigten einen symbolischen Wert hat, der über den geldwerten Vorteil hinausgeht, ist sie für das Unternehmen gegenüber einer freien materiellen Leistung vorteilhaft. Zudem verzögern einige dieser gebundenen Leistungen den Liquiditätsabfluss. Ein Nachteil gebundener Leistungen entsteht insbesondere bei Naturalleistungen für das Unternehmen, wenn die Leistungen des Unternehmens von den Beschäftigten nicht mehr bewusst wahrgenommen und selbstverständlich werden. In diesem Fall wird aus dem Motivationsfaktor ein Hygiene-Faktor, der sich zu einer möglichen Quelle der Unzufriedenheit entwickelt.

Nicht-materielle Leistungen sind solche Leistungen, die das Unternehmen ohne Zusatzaufwand im Rahmen des Normalbetriebs zur Verfügung stellen kann und die aktuelle Bedürfnisse (-> Motiv) der Beschäftigten befriedigen. Diese Anreize lassen sich nach den wichtigsten Bedürfniskategorien ordnen:

  • Sicherheitsanreize: Bieten vor allem eine hohe Beschäftigungssicherheit (-> Sicherheitsbedürfnis).
  • Soziale Anreize: Kann ein Unternehmen durch eine ausgeprägte Teamkultur und Solidarität unter den Beschäftigten bieten, aber auch dadurch, dass es den Zugang zu geschlossenen sozialen Kreisen (z. B. Clubs) eröffnet (-> Zugehörigkeitsbedürfnis).
  • Statusanreize: Entstehen aus Titeln oder Auszeichnungen, die ein Unternehmen oder eine Organisation vergeben kann. Besondere Bedeutung haben diese Anreize in vielen öffentlich-rechtlichen Organisationen mit ihren spezifischen Titelhierarchien (z.B. Universitäten oder der diplomatische Dienst). Unternehmen und Organisation können auch Auszeichnungen verleihen, die über diese Organisation hinaus einen Stellenwert besitzen (-> Anerkennungsbedürfnis).
  • Selbstverwirklichungsanreize: Entstehen daraus, dass das Unternehmen Aufgaben oder Positionen vergibt, die dem Einzelnen die Möglichkeit zur (bezahlten) Realisierung eigener Ideen und Visionen geben. Auch die Fort- und Weiterbildung kann einen Anreiz darstellen, wenn sie dem Beschäftigten die Chance zur persönlichen Weiterentwicklung bietet (-> Selbstverwirklichungsbedürfnis).
  • Machtanreize: Ergeben sich aus der Hierarchie des Unternehmens. Die Übertragung von Verantwortung und die Zuordnung unterstellter Mitarbeiter bieten Möglichkeiten der Einflussnahme zur Erreichung persönlicher Ziele und zur Durchsetzung eigener Vorstellungen (-> Machtmotiv).
  • Nicht-materielle Anreize: Sind häufig eng mit finanziellen Anreizen verbunden (so bedeutet eine Beförderung in der Regel sowohl einen Gehalts- als auch Machtzuwachs); sie können für ein Unternehmen kostenneutral sein.