Kognitive, Persönlichkeits- und fachspezifische Tests im Recruitment
1. Hintergrund
Unternehmen stehen heute in einem Umfeld globalen Wettbewerbs und rascher technologischer Veränderungen. Wissen und Innovationskraft spielen für den Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit eine zentrale Rolle. Die Gewinnung „passenden“ und insbesondere qualifizierten Personals ist für die Unternehmen also in hohem Maße erfolgsrelevant (vgl. Stock-Homburg (2008), S. 104). Doch die Rekrutierung und Erhaltung qualifizierten Personals stellt für Unternehmen in zunehmendem Maße eine Herausforderung dar. Zum einen trägt der demographische Wandel zu einer geringeren Zahl von Nachwuchskräften (vgl. Grauel (2007), S. 14) und gleichzeitig zu einem verstärkten Ausscheiden auch qualifizierter Fachkräfte aus dem Erwerbsleben bei (vgl. Stock-Homburg (2008), S. 586). Ein weiteres Problem stellt die verstärkte Abwanderung qualifizierter Fachkräfte dar (vgl. Stock-Homburg (2008), S. 104)1, der keine entsprechende Zuwanderung gegenübersteht. Begriffe wie „Akademikerlücke“ (vgl. Bruche (2010), S. 298) oder „war for talents“ (vgl. Stock-Homburg (2008), S. 104) charakterisieren diese Situation. Aber selbst wenn es einem Unternehmen gelingt, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, verläuft der Rekrutierungsprozess häufig nicht ohne Probleme. Fehlentscheidungen bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter können mit erheblichen Kosten verbunden sein, da zum einen die unternehmerischen Leistungen nicht in angemessener Weise oder nur mit Verzögerung oder mit zusätzlichen Kosten erbracht werden und zum zweiten erneut Kosten für die Suche und Einstellung neuen Personals entstehen (vgl. Stock-Homburg (2008), S. 105). Neben Aktivitäten des Personalmarketings (vgl. Schuler (2009), S. 118), also der Schaffung von Anreizen, die attraktive Bewerber aufmerksam machen und die Bindung vorhandener Mitarbeiter binden, ist daher für die Personalgewinnung ein systematisches und strukturiertes Vorgehen erforderlich (vgl. Moser / Zempel (2006), S. 70).
Ein solches systematisches Vorgehen erfordert zum einen eine genaue und umfassende Klärung der Anforderungen, die an eine intern oder auch extern zu besetzende Stelle gestellt werden. Dieser Prozess steht allerdings häufig vor der Schwierigkeit, dass Tätigkeitsanforderungen in vielen Fällen noch nicht genau bekannt sind oder sich voraussichtlich rasch verändern werden (vgl. Schuler (2009), S. 122). Gerade bei in einem dynamischen Umfeld tätigen Unternehmen, die sich einem raschen Wandel der Produkte, Dienstleistungen und Leistungserstellungsprozessen ausgesetzt sehen (oder diesen Wandel selbst aktiv vorantreiben wollen), ist dies eher die Regel als die Ausnahme. Als Konsequenz hieraus ergibt sich für die Rekrutierung von Mitarbeitern, dass nicht nur aktuelle Fähigkeiten und Kenntnisse, sondern vor allem auch das Potenzial, also die Leistungsmöglichkeiten von Bewerbern unter sich verändernden Bedingungen sichtbar gemacht werden sollten (vgl. Schuler (2009), S. 122). Ihr Potenzial ist Bewerbern häufig nicht oder nicht vollständig bewusst; nicht selten liegen Überschätzungen, aber ebenso auch Unterschätzungen eigener Kompetenzen und Potenziale vor (vgl. Kirbach / Wottawa (2009), S. 71). Eine mögliche Lösung dieser Problematik bieten psychologische Tests. Diese zielen auf eine objektive, gültige und zuverlässige Erfassung abstrakter Eigenschaften und Konstrukte wie etwa kognitiver Potenziale (z.B. Intelligenz) oder Persönlichkeitseigenschaften. Psychologische Tests erweisen sich damit gerade in einer rasch verändernden Arbeitswelt immer mehr als unverzichtbare Bestandteile der Personalgewinnung. Dabei müssen psychologische Tests nicht erst bei der eigentlichen Rekrutierung zum Einsatz kommen, sondern sie können auch bei der vorangehenden Selbstselektion der Bewerber hilfreich sein (vgl. Geister / Rastetter (2009), S. 6, vgl. Kirbach / Wottawa (2009), S. 71, vgl. Moser / Schmook (2006), S. 233): Diese Selbstselektion mündet in der Entscheidung für (oder gegen) eine Bewerbung. Wenn dieser Entscheidungsprozess durch Bereitstellung objektiver Tests unterstützt werden kann, ist eine besser informierte und damit stärker fundierte Selbstselektion möglich. Die Passungen zwischen Bewerbungen und dem Anforderungsprofil einer Stelle werden von vornherein verbessert.
In diesem Artikel sollen der Einsatz und der Nutzen, aber auch einige Probleme psychologischer Tests wie kognitiver Tests, Persönlichkeitstests und fachspezifischer Tests im Rahmen der Personalgewinnung, also des Recruitments, näher betrachtet werden. Der beschriebene Prozess der Selbstselektion wird dabei als Bestandteil des Gesamtprozesses des Recruitments aufgefasst. Als Resultat der Betrachtung wird eine Einschätzung gegeben, unter welchen Bedingungen der Einsatz psychologischer Tests im Recruitment besonders zielführend erscheint.
2. Psychologische Tests im Recruitment
2.1 Definition
Der Begriff „Recruitment“ bzw. „Rekrutierung“ wird nicht einheitlich verwendet (vgl. Steiner (2009), S. 102). In einem weiten Sinne kann er mit „Personalgewinnung“ gleichgesetzt werden. Dieser Prozess umfasst die Schritte von der Attrahierung potenzieller Bewerber, deren Selbstselektion sowie der Vorstellung tatsächlicher Bewerber und der Auswahl unter ihnen (vgl. Moser / Zempel (2006), S. 70-71). Recruitment ist somit Bestandteil des Personalmarketings. Personalmarketing aber auch die Entwicklung von Strategien und Taktiken zur Ansprache von Bewerbern etwa über Stellenanzeigen oder Firmenbroschüren, Kontakte zu Schulen usw., also verschiedene Formen der Bewerberansprache (vgl. Kirbach / Wottawa (2009), S. 66, vgl. Schuler (2009), S. 119). Recruitment im engeren Sinne hingegen bezieht sich auf die Selbstselektion (potenzieller Bewerber nimmt Kontakt zum einstellenden Unternehmen auf) aufgrund z.B. einer Stellenanzeige und auf den Bewerbungseingang mit anschließendem Auswahlprozess im Unternehmen (vgl. Steiner (2009), S. 102). Es können ein externes Recruitment (Gewinnung bisher unternehmensfremder Personen) und ein internes Recruitment (Gewinnung von Mitarbeitern für andere Aufgaben) unterschieden werden (vgl. Schuler (2009), S. 119).
2.2 Varianten
Psychologische Tests sind wissenschaftlich fundierte Verfahren zur Untersuchung empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den Grad der individuellen Merkmalsausprägung (vgl. Lienert / Raatz, zitiert in Bühner (2006), S. 23). Die in dieser Definition genannten Persönlichkeitsmerkmale können sehr unterschiedlich sein; im Rahmen des Recruitments spielen vor allem allgemeine kognitive Merkmale (z.B. Intelligenz, Auffassungsgabe), Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Neurotizismus, Extraversion, aber auch Einstellungen, Interessen und Motive) und fachspezifisches Wissen und Können eine Rolle. Bei kognitiven und fachspezifischen Merkmalen lassen sich neben dem Niveau (wie „gut“ jemand abschneidet) auch die Schnelligkeit testen („Speedtests“) (vgl. Bühner (2006), S. 15). Es gibt eine große Vielfalt unterschiedlicher Tests, die im Recruitment relevant werden können2. Die folgende Tabelle führt exemplarisch nur einige wenige der zahlreichen Merkmale mit potenzieller berufsbezogener Relevanz auf, für die Tests zur Verfügung stehen(vgl. Sarges / Wottawa (2004), S. 917f.).
Allgemeine kognitive Merkmale | Analytisches Denken, Bearbeitungsgeschwindigkeit, Auffassungsvermögen, Detailgenauigkeit, Flexibilität im Denken, Intelligenz (mit zahlreichen Untermerkmalen), Kreativität, Merkfähigkeit, ... |
Persönlichkeitsmerkmale | Arbeitsmotivation, Belastbarkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Erfolgszuversicht, Frustrationstoleranz, Geduld, Gewissenhaftigkeit, Kontaktfähigkeit, Nervosität, Pflichtbewusstsein, Selbstwirksamkeit, Teamorientierung, ... |
Fachspezifisches Wissen / Können | Numerische Beziehungen erkennen, praktisch-technisches Verständnis, Sprachgefühl, Entscheidungsgüte und - Geschwindigkeit, mathematisch-numerisches Denken, technisches Verständnis, Wortverständnis, ... |
Tabelle: Beispiele für potenziell berufsrelevante Merkmale, für die Tests vorliegen
Diese Testverfahren sind mit Papier und Bleistift bzw. (immer häufiger) online zu bearbeiten. Es handelt sich um standardisierte Verfahren, weil die Antwortmöglichkeiten vorgegeben sind und „nur“ ausgewählt („angekreuzt“) werden müssen. Weitere Testverfahren sind Arbeitsproben, Szenarien und Assessment-Center (vgl. Geister / Rastetter (2009), S. 7f.). Diese Verfahren werden zum Teil ebenfalls am Computer bzw. online durchgeführt (vgl. Geister / Rastetter (2009), S. 9f.). Auf Arbeitsproben, Szenarien und Assessment-Center wird hier jedoch nicht näher eingegangen.
Neben den Einzeltests gibt es eine Reihe von Testsystemen. Dies sind meist online bereitgestellte technische Umgebungen, in denen bedarfsweise verschiedene Tests einzeln oder kombiniert angeboten, bearbeitet und ausgewertet werden können, und in denen die Bewerber sowie die Tests verwaltet werden können3. Viele dieser Testsysteme verfügen zudem über verschiedene Möglichkeiten zur Aufbereitung und Anzeige meist deskriptiver Statistiken (vgl. Sarges / Wottawa (2004), S. 849f.).
3. Vor- und Nachteile sowie Grenzen des Einsatzes von Tests
Ein entscheidender Vorteil - und damit die wesentliche Legitimation - des Einsatzes von Tests im Recruitment liegt in ihrer relativ guten prognostischen Validität in Bezug auf den beruflichen Erfolg. Diese Validität ist für verschiedene psychologische Tests untersucht worden (vgl. Hülsheger / Maier (2008), S. 115):
- In einer Metaanalyse wurde der Zusammenhang zwischen allgemeiner kognitiver Fähigkeit und Berufserfolg sowie Ausbildungserfolg untersucht. Die entsprechenden Validitäten lagen bei 0.54 bzw. 0.47, d.h. dass ein Viertel des Berufs- / Ausbildungserfolgs auf die Intelligenz zurückgeführt werden kann. Andererseits ist die Validität einiger gängiger, psychometrisch gut untersuchter Intelligenztests (gl. Hülsheger / Maier (2008), S. 115, nennen hier HAWIE, BOMAT und MIT.) noch nicht in Bezug auf den beruflichen Kontext geprüft worden.
- Auch für einige Persönlichkeitstests liegen Validierungen für den beruflichen Kontext vor. Hier können nur einige Beispiele genannt werden. So finden sich deutliche Beziehungen zwischen der Lernbereitschaft und dem Bildungsniveau oder dem Engagement und der Wochenarbeitszeit4. In einer weiteren Studie zur Auswahl von Führungskräften (Schulleiter) fand sich ein positiver Zusammenhang zwischen Belastbarkeit und Selbstvertrauen sowie ein negativer Zusammenhang zwischen Extraversion und Verwaltungskompetenz (vgl. Hülsheger / Maier (2008), S. 112). Das Persönlichkeitsmerkmal „Neurotizismus“ erwies sich im Ausland lebenden Managern als bedeutsam für die interkulturelle Anpassung (-0,44), die selbst eingeschätzte Leistung (-0,18) und den Wunsch nach vorzeitiger Rückkehr (vgl. Hülsheger / Maier (2008), S. 112). Auch das Merkmal der Gewissenhaftigkeit (als eines der fünf großen Persönlichkeitsmerkmale, „Big Five“) weist deutliche Zusammenhänge zu berufsbezogenen Kriterien auf (vgl. Schuler (2009), S. 133-134). Weitere Merkmale hängen mit bestimmten Tätigkeiten bzw. Verantwortungsbereichen (z.B. Verträglichkeit - Teamarbeit) oder mit bestimmten Berufsgruppen (z.B. Extraversion - Management) zusammen (vgl. Schuler (2009), S. 134).
- Fachspezifische Tests bzw. Tests spezifischer kognitiver Fähigkeiten hingegen scheinen im beruflichen Kontext über die allgemeine Intelligenz hinaus nur wenig zur Vorhersage des Berufserfolgs beizutragen. Für diese Vorhersage scheint gerade der Anteil kognitiver Fähigkeiten relevant zu sein, der verschiedenen Aufgaben gemein ist, somit die allgemeine kognitive Fähigkeit (vgl. Hülsheger / Maier (2008), S. 116). Fachkenntnisse scheinen jedoch eine Mediatorfunktion auszuüben, d.h. Intelligenz wirkt indirekt (über die Fachkenntnisse) auf den beruflichen Erfolg (vgl. Schuler / Höft (2006), S. 113).
Andererseits kann die relativ gute prognostische Validität der meisten Verfahren (soweit dies für den beruflichen Bereich bisher überprüft wurde) durch Kombination verschiedener Verfahren verloren gehen, da sich die Verfahren (interpretiert als Prädiktoren des Kriteriums „beruflicher Erfolg“) gegenseitig beeinflussen können (vgl. Schuler / Höft (2006), S. 129). Praktisch bedeutet dies, dass die guten Validitäten nicht mehr gelten müssen, wenn verschiedene Tests miteinander kombiniert angewendet werden, was aber oft die Regel ist. Daraus folgt, dass zwischen „Breite“ und „Tiefe“ der Testung abgewogen werden muss. Wenn sehr viele Tests angewendet werden, können die Validitäten absinken, werden hingegen zu wenige Tests angewendet, werden vielleicht für die Tätigkeit wichtige Merkmale nicht erfasst (vgl. Schuler / Höft (2006), S. 130). Dieser Zwang zu genauer Abwägung kann andererseits auch als Vorteil des Einsatzes psychologischer Tests im Recruitment betrachtet werden: Die Anforderungen an die Bewerber müssen genau definiert und festgelegt werden, wodurch auch die Auswahlkriterien für die Teilnehmer transparenter werden (vgl. Geister / Rastetter (2009), S. 12). Dies wiederum schafft für das Unternehmen mehr Rechtssicherheit, z.B. sinkt das Risiko des Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und entsprechender Klagen.
Ein weiteres Problem hingegen kann dadurch gegeben sein, dass der Bewerber durch eine umfangreiche Testbatterie überfordert werden kann, und durch z.B. Ermüdung oder Absinken der Motivation können die Ergebnisse verfälscht werden. In neuerer Zeit versucht man dem unter anderem durch „adaptives Testen“ zu begegnen; dies ist jedoch aufwendig und wird zur Zeit noch kaum eingesetzt (vgl. Schuler / Höft (2006), S. 131). Schließlich ist noch festzustellen, dass etwa die multimedialen Möglichkeiten computergestützten Testens bisher noch kaum genutzt werden, da entsprechende Tests noch nicht entwickelt und empirisch fundiert worden sind.
4. Zum Einsatz psychologischer Tests im Recruitment
Psychologische Tests werden in Deutschland im Rahmen des Recruitments in Relation zu ihrem möglichen Nutzen (informiertere Selbstselektion, Reduktion von Fehlentscheidungen) noch relativ vereinzelt eingesetzt. Die wesentliche Zielgruppe sind Auszubildende (vgl. Steiner (2009), S. 101; vgl. Schuler (2009), S. 132). Bei Trainees sowie bei Führungskräften hingegen werden Tests bei weniger als 10% der Bewerber eingesetzt (vgl. Schuler / Höft (2006), S. 104). Als Grund für diese relativ geringe Nutzung wird zum einen ein relativ hoher organisatorischer Aufwand angegeben, da der Betriebsrat in der Regel dem Einsatz von Tests zustimmen muss und die Auswertung organisiert werden muss (vgl. Geister / Rastetter (2009), S. 3f., vgl. Hülsheger / Maier (2008), S. 111). Auch werden Vorbehalte von Seiten des Betriebsrats genannt. Allerdings dürfte die mit psychologischen Tests verbundene hohe Objektivität und Vorhersagekraft und die damit verbundene Verbesserung der „Passung“ zwischen ausgeschriebener Stelle und Bewerbern sowie einer verbesserten Transparenz auch im Interesse der Arbeitnehmervertretungen liegen. Als weiterer Grund für eine relativ geringe Nutzung psychologischer Tests wird die Gefahr sozial erwünschter Antworten gesehen, die die Validität des Tests verfälschen (vgl. Hülsheger / Maier (2008), S. 111). Ein letzter hier zu nennender Grund schließlich ist darin zu suchen, dass die Unternehmen nicht immer das KnowHow haben, um die für ein gegebenes Tätigkeitsprofil bereitzustellenden Tests auszuwählen, anzuwenden und auszuwerten.
Vergleicht man die Nutzungshäufigkeiten von Tests in Deutschland allerdings mit denen etwa im europäischen Ausland, so fallen erhebliche Unterschiede ins Auge. Persönlichkeitstests beispielsweise werden in Großbritannien, Spanien und Benelux bei jeweils rund 70% der angehenden Führungskräfte eingesetzt - im Gegensatz zu 7% in Deutschland (vgl. Schuler / Höft (2006), S. 104). Die genannten Gründe für die geringe Nutzung in Deutschland scheinen kaum geeignet, eine derart große Differenz zu erklären; Antworten im Sinne sozialer Erwünschtheit oder mangelndes KnowHow sind ja nicht auf Deutschland beschränkt. Somit könnten bezüglich der Nutzungshäufigkeit auch kulturelle Unterschiede eine Rolle spielen. Allerdings nimmt der Einsatz von Persönlichkeitstests bei der Einstellung von Führungskräften zumindest als Ergänzung zu Interview und Personalfragebogen auch in Deutschland zu (vgl. Gutmann (2010), S. 270).
Kritisiert wird bezüglich des Einsatzes auch, dass empirisch fundierte und wissenschaftlich gesicherte Testverfahren vergleichsweise selten eingesetzt werden, sondern dass vielmehr einstellende Firmen, aber auch Beratungsunternehmen selbst entwickelte Tests einsetzen. Die Situation scheint zum Teil mit der bisherigen Praxis etwa bei der Studierendenauswahl durch die Universitäten vergleichbar, da auch hier oft auf wenig valide und reliable Verfahren zurückgegriffen wird (vgl. Westmeyer (2005), S. 143). Neben einer deutlich häufigeren Nutzung von Testverfahren sind somit auch noch beträchtliche Professionalisierungsschritte in Richtung auf eine stärker wissenschaftlich legitimierte Auswahlpraxis zu leisten.
5. Fazit und Ausblick
Insgesamt können psychologische Tests im Recruitment als ein wichtiger Schritt angesehen werden, um die Gültigkeit, Zuverlässigkeit und Objektivität des Auswahlverfahrens deutlich zu erhöhen und gleichzeitig dieses zu vereinfachen. Es stehen zahlreiche Verfahren zur Verfügung, die zu einem beträchtlichen Teil für verschiedene berufliche Situationen validiert worden sind. Die die Zusammenstellung der Tests erfordert eine genaue Anforderungsanalyse der zu besetzenden Stelle, Dadurch sinkt das Risiko, dass nicht wirklich benötigte oder aber unklare Anforderungen definiert werden, und die Chance steigt, dass die Stellenausschreibungen präziser und punktgenauer sind. Bewerber können die Tests gegebenenfalls zuhause bearbeiten, dadurch sinken die Aufwände für die Unternehmen. Aber auch für die Selbstselektion des Bewerbers vor einer eventuellen Bewerbung können Tests vorteilhaft eingesetzt werden, weil sie die „Passung“ zwischen Bewerbern und Position von vornherein verbessern hilft.
Probleme können entstehen, wenn viele Tests miteinander kombiniert werden und diese Kombination nicht aufgrund eines klar definierten Anforderungsprofils erfolgt. Andererseits sind für verschiedene Berufsprofile bereits Lösungen dieses Problems entwickelt worden, indem eine profilspezifische Kombination aus kognitiven, Persönlichkeits- und fachspezifischen Tests bereitgestellt werden kann (vgl. Hilger (2005), S. 233f.).
Ein weiteres Problem besteht in möglichen Verfälschungen von Testergebnissen, wenn die Tests nicht vor Ort beim einstellenden Unternehmen durchgeführt werden. Bei Online-Tests müssen Datenschutzbestimmungen beachtet werden. Diese Probleme scheinen jedoch grundsätzlich lösbar. Gerade auch in Kombination mit neueren Entwicklungen (adaptives Testen, Einbeziehung multimedialer Elemente in die Tests) gibt es somit gute Gründe für einen verstärkten Einsatz psychologischer Tests im Recruitment.
Besonders zielführend scheint der Einsatz allgemeiner Intelligenztests für anspruchsvolle fachliche Tätigkeiten, vor allem auch dann, wenn diese sehr heterogen sind und z.B. aufgrund des technologischen Fortschritts einem raschen Wandel unterliegen. Die Kombination mit fachspezifischen Tests bzw. Wissenstests ist jedoch ebenfalls sinnvoll, weil Bewerbergruppen bezüglich allgemeiner Intelligenz bei anspruchsvollen Tätigkeiten oft schon vorselektiert sind.
Auch bei weniger heterogenen, stark spezialisierten Tätigkeiten sind fachspezifische Tests sinnvoll. Verschiedene Persönlichkeitstests scheinen vor allem für die Diagnose von Teamfähigkeit und Führungseigenschaften sinnvoll zu sein.
1 Zwischen 2003 und 2009 hat Deutschland rund 180.000 Staatsangehörige „netto“ (also unter Gegenrechnung von Rückkehrern) an andere OECD-Staaten verloren, wobei diese Abwanderer tendenziell als hoch qualifiziert gelten, vgl. Bruche (2010), S. 298.
2 Sarges / Wottawa (2004) beschreiben in ihrem Buch rund 140 verschiedene Testverfahren.
3 Beispiele im deutschsprachigen Raum sind die Testsysteme der Testzentrale des Hogrefe Verlags (www.testzentrale.de) sowie des Schuhfried Verlags (www.schuhfried.at).
4 Lernbereitschaft und Engagement sind hierbei Facetten des Tests „Leistungsmotivationsinventar“, vgl. Hülsheger / Maier (2008), S. 112; vgl. Rozhkova (2011), S. 52.
Literatur
- Bruche, Gert (2010): Akademischer Fachkräftemangel in Deutschland und der Bildungsaufstieg Chinas und Indiens - Implikationen und Zusammenhänge. In Meyer, S. / Pfeiffer, B. (Hrsg): Die gute Hochschule: Ideen, Konzepte und Perspektiven. Berlin: edition sigma, S. 297 - 307
- Bühner, Markus (2006): Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion. 2. Auflage. München: Pearson Studium
- Geister, Susanne / Rastetter, Daniela (2009): Aktueller Stand zum Thema Online-Tests. In Steiner, Heinke (Hrsg): Online-Assessment. Heidelberg: Springer Verlag, S. 3 - 16
- Grauel, Ralf (2007): Mitarbeiter verzweifelt gesucht! Brandeins 1 / 07, S. 14 - 15. http://www.employerbranding.org/downloads/presse/DEBA_brandeins_0107.pdf
- Gutmann, Dierk (2010): Nutzung webbasierter Tests bei der Auswahl von Führungskräften: Erfahrungen eines Personalchefs, Grundlagen, Darstellung und Kommentierung einiger Tests. In Berndt, Ralph (Hrsg): Erfolgreiches Management. Berlin: Springer Verlag, S. 269 - 280
- Hilger, Günter (2005): Bildungscontrolling und Skill-Management mit BE-Certified. In Ehlers, Ulf-Daniel / Schenkel, Peter (Hrsg): Bildungscontrolling im E-Learning: Erfolgreiche Strategien und Erfahrungen jenseits des ROI. Heidelberg: Springer Verlag, S. 233 - 243
- Hülsheger, Ute / Maier, Günter (2008): Persönlichkeitseigenschaften, Intelligenz und Erfolg im Beruf. Psychologische Rundschau, 59 (2), S. 108 - 122
- Kirbach, Christine / Wottawa, Heinrich (2009): Online-Tools zur Gewinnung passender Mitarbeiter. In Steiner, Heinke (Hrsg): Online-Assessment. Heidelberg: Springer Verlag, S. 65 - 82
- Moser, Klaus / Schmook, Renate (2006): Berufliche und organisationale Sozialisation. In Schuler, Heinz (Hrsg): Lehrbuch der Personalpsychologie. 2. Auflage. Göttingen: Hogrefe Verlag, S. 231 - 254
- Moser, Klaus / Zempel, Jeannette (2006): Personalmarketing. In Schuler, Heinz (Hrsg): Lehrbuch der Personalpsychologie. 2. Auflage. Göttingen: Hogrefe Verlag, S. 69 - 96
- Rozhkova, Maria (2011): Measurement of the Implicit and Explicit Achievement Motive: New Perspectives. Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München
- Sarges, Werner / Wottawa, Heinrich (2004): Handbuch wirtschaftspsychologischer Testverfahren. Band I: Personalpsychologische Instrumente. 2. Auflage. Lengerich usw.: Pabst Science Publishers
- Schuler, Heinz (2009): Auswahl von Mitarbeitern. In von Rosenstiel, Lutz / Regnet, Erika / Domsch, Michael (Hrsg): Führung von Mitarbeitern. 6. Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, S. 115 – 147
- Schuler, Heinz / Höft, Stefan (2006): Konstruktorientierte Verfahren der Personalauswahl. In Schuler, Heinz (Hrsg): Lehrbuch der Personalpsychologie. 2. Auflage. Göttingen: Hogrefe, S. 101 - 144
- Steiner, Heinke (2009): Einführung: Online-Tests in der Personalauswahl. In Steiner, Heinke (Hrsg): Online-Assessment. Heidelberg: Springer Verlag, S. 99 - 103
- Stock-Homburg, Ruth (2008): Personalmanagement. Theorien - Konzepte - Instrumente. Wiesbaden: Gabler Verlag
- Westmeyer, Hans (2005): Einige Grundsätze zum Vorgehen bei der Auswahl von Studierenden. Psychologische Rundschau, 56 (2), S. 142 - 144