Timing und Betriebsrat

Es passiert jeden Tag irgendwo in Deutschland. Der Geschäftsführer ruft den Vorsitzenden des Betriebsrates an und lädt zu einem kurzfristigen Gespräch ein. Es sei dringend und "wir haben ein Problem". 

In der folgenden Zusammenkunft wird die Thematik umrissen und die angestrebte Lösung präsentiert. Der Vorsitzende des Betriebsrates zieht sich daraufhin zurück und lässt seinerseits sein Gremium zusammenkommen. 

Ab diesem Zeitpunkt läuft der weitere Prozess in keinem Unternehmen mehr gleich ab. Aus Verhandlungen im chinesischen Raum ist die Taktik des "Long Wait" bekannt. Die Treffen zu weiteren Gesprächen werden aus 'aktuellem Anlass' zeitlich und wiederholt nach hinten verschoben, selbst wenn der eigentliche Termin dazu in wenigen Minuten hätte beginnen sollen. Wird der Grund hierfür hinterfragt, erhält man freundlich eine wage Antwort, die keinen wirklichen Aufschluss gibt. Wer sich auf Informationsseiten für Betriebsräte im Internet einließt, erkennt schnell die empfohlenen Parallelen zu dieser fernöstlichen Verhandlungstaktik. Das stetig wachsende Problem liegt nur bei der Unternehmensleitung, der die Zeit davon laufen muss. Sicherlich sind Betriebsräte in deutschen Niederlassungen meist deutlich kooperativer. Je tiefer die Verwurzelung am Standort ist, um so größer ist die Bereitschaft, eine Lösung für das jeweilige Problem auch kurzfristig in Angriff zu nehmen. Auch die Bereitschaft betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten in die Vereinbarung zu integrieren, steigt dabei. 

Dennoch bleiben die unterschiedlichen Interessenlagen von Geschäftsführung und Betriebsrat wirksam. Während die Unternehmensleitung auf Umsatz, Rendite und Kundenzufriedenheit achten muss, liegt dem Betriebsrat das Wohl der Arbeitnehmer am Herzen. Doch die Vielzahl der Mitglieder des Betriebsrats stellt ebenso sicher, dass auch das Verhältnis untereinander und zu gewerkschaftlichen Unterstützern Einfluss auf die betriebsrätlichen Vorschläge hat. Um dem Diktat der Dringlichkeit zu entkommen, bleibt Geschäftsführern, Führungskräften und Personalleitern nur der Weg, Probleme frühzeitig zu erkennen und in Gesprächen mit Betriebsräten frühzeitig Lösungsansätze zu entwickeln. So muss beispielsweise während eines Einstellungsbooms bereits die Konsolidierung im Blickfeld sein, wer Auszubildende über Bedarf unter Vertrag nimmt, braucht eine Lösung, falls zum Ausbildungsende nicht alle Übernahmen möglich sein werden. 

Während bei unternehmerischen Entscheidungen betriebsrätliche Gremien meist außen vor sind, greift in der Umsetzung das Recht auf Mitbestimmung. Die Kooperation zwischen Führungskraft und Team ist das klassische Terrain von Betriebsräten. Selbst in den Ablauf der Gespräche, beispielsweise Leistungsbeurteilungen, können sie massiv eingreifen. Um Vereinbarungen mit dem Betriebsrat zeitlich und inhaltlich zu optimieren, empfiehlt es sich insoweit, schon während der Entscheidungsphasen (meist ohne Mitbestimmung) Informationen fließen zu lassen und mit Verhandlungen für die Umsetzungsphase (meist mit Mitbestimmung) zu beginnen und auch die Zeit nach dem Ereignis in die Betrachtung mit einzubeziehen. 

Bei konsequenter Umsetzung dieses Weitblicks werden "dringenden Erfordernisse" nur noch gespeist aus den nicht vorhersehbaren und meist kleinen Ereignissen im betrieblichen Umfeld. Die eher großzügige Behandlung dieser Einmaligkeiten verbessert die eigene Verhandlungsposition für die wirklich wichtigen Lösungen. 

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