Zeige mir dein Gesicht...

...und ich sage dir, wer du bist. Physiognomik nennt sich eine nicht unumstrittene Methode, im Gesicht eines Menschen zu „lesen“ und so Rückschlüsse auf die persönlichen Eigenschaften dieser Person zu ziehen. Sie gilt auch als Lebens- und Seelenausdruckskunde und soll dem Anwender zu einer besseren Menschenkenntnis verhelfen.

Die Geschichte der Physiognomik reicht bis 1353 v. Chr. zurück: Pharao Amenhotep war der Auffassung, dass die individuellen Charakterzüge eines Menschen angeboren wären. Griechenlands Pythagoras (582 – 500 v. Chr.) entschied anhand der Physiognomik, wer es „wert“ war, bei ihm zu studieren. Plato (427 – 347 v. Chr.) ging noch weiter und war der Ansicht, dass man aufgrund des Aussehens eines Menschen feststellen konnte, ob derjenige das Zeug zu einem Staatsmann, Kaufmann oder eher Handwerker hatte. Aristoteles’ (384 – 322 v. Chr.) Theorie war: „Wenn du aussiehst wie ein Löwe, wirst du handeln wie ein Löwe – voller Selbstvertrauen und Mut. Wenn du aussiehst wie ein Reh – mit viel mehr Flucht- als Kampfverhalten“. Zeitsprung: Carl Huter (1861 – 1912) gilt als der bekannteste und renommierteste Physiognomiker des 19. Jahrhunderts. Er war es, der bestimmte Charaktereigenschaften bestimmten Gesichtsmerkmalen zuordnete. 1906 vollendete Huter sein 900 Seiten starkes Hauptwerk, dessen Genuss für Iris Labacher, erster Trainerin für Physiognomik in Österreich, derart fesselnd und faszinierend war, dass sie beschloss, sich mit dieser Lehre besonders gründlich auseinanderzusetzen. Fünfzehn Jahre intensiven Beschäftigens mit dieser Materie führten schließlich dazu, dass sich Iris Labacher – auf Initiative ihrer Freundin Andrea Hamm – entschied, gemeinsam mit ihr „Face The Face“ zu gründen – eine Firma, die darauf abzielt, das Wissen um die Physiognomik auch der breiten Masse zugänglich zu machen. Da diese „Kunst“ durchaus polarisiert, wollten wir in die Tiefe gehen und baten die Unternehmerin zum kritischen Interview.

Frau Labacher, wie fanden Sie zu Ihrer Berufung, Physiognomik zu trainieren?
Iris Labacher: Privat beschäftige ich mich schon seit über 15 Jahren mit der Physiognomik. Im Laufe meiner jahrelangen Tätigkeit im Personalmanagement entdeckte ich, wie hilfreich mein Wissen über diese Lehre bei der Rekrutierung von Personal ist. Dies äußert sich nicht zuletzt durch meine hohe Erfolgsquote im Bereich der Personalbereitstellung. Meine Personalbesetzungen waren dermaßen effizient, dass es kaum zu Fluktuationen kam. So wurde die Idee geboren, mich selbstständig zu machen und mein Wissen an Vertriebler und Personalisten, aber auch an Privatpersonen weiterzugeben. Voraussetzung dafür war allerdings, eine kompetente Partnerin für das Management meiner Firma zu gewinnen, die ich in der Person von Andrea Hamm gefunden habe.

Schaffen Sie sich durch die Bereitstellung Ihres Wissens an Ihre Branchenkollegen nicht selbst Konkurrenz?
Iris Labacher: Nein, so zu denken liegt absolut nicht in meinem Naturell. Ganz im Gegenteil: Ich halte es für einen Vorteil, wenn möglichst viele Menschen Kenntnisse über die Physiognomik erlangen, da man damit sehr viele Streitpunkte ausschalten kann. Wir sind die Ersten, die das Thema Physiognomik in Österreich aufgreifen – und ich halte es für wichtig, dass dieses Thema in unserem Land etabliert wird. Deutschland und die Schweiz haben hier eine Vorreiterrolle. Daher haben wir unsere Ausbildung auch in Deutschland absolviert.

Googelt man den Begriff „Physiognomik“, stößt man unweigerlich auf schwierige Themen wie „Nationalsozialismus“ und „Rassismus“. Ihre Meinung dazu?
Iris Labacher: Obwohl die Physiognomik schon über 3.000 Jahre alt ist, hat es in der jüngeren Vergangenheit durchaus Phasen gegeben, in denen die Lehre in einer schrecklichen Art und Weise verwendet wurde. Genau aus diesem Grund gilt die Physiognomik in Österreich bis heute als großes Tabu-Thema. Daher kann ich es nicht oft genug betonen: Unser Ansatz in der Physiognomik ist die Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation – im privaten wie auch im beruflichen Bereich. Physiognomik MUSS wertschätzend, respekt- und verantwortungsvoll angewendet werden. Es dürfen keine voreiligen Schlüsse gezogen werden, der Mensch darf niemals „schubladisiert“ werden. Die Erkenntnis von Stärken und Schwächen des Gegenübers soll als Instrument dienen, um besser kommunizieren zu können, sich besser auf das Gegenüber einzustellen und so seine Verhaltensweisen und Reaktionen besser verstehen zu können.

Wie kann man das Wissen um die Physiognomik praktisch einsetzen?
Iris Labacher: Interessant ist, dass jeder Mensch einen ureigenen Instinkt besitzt, sein Gegenüber einzuschätzen, ihm in die „Karten zu schauen“. Sympathie und Antipathie äußern sich im Unterbewusstsein – und zwar ganz klar durch äußerliche, rein oberflächliche Merkmale wie Aussehen, Kleidung, Geruch und Körperhaltung. Es ist immer der erste Eindruck, der entscheidet, ob man mit einer Person mehr zu tun haben möchte oder nicht. Oft täuschen diese markanten Merkmale allerdings über die wahre Persönlichkeit hinweg, denn manche Menschen leben ihre „Anlagen“ nicht immer aus. Daher ist es gerade für mich als professionelle Personalbereitstellerin besonders wichtig, sensibel und genau zu hinterfragen, wer sich hinter dem Gesicht des Gegenübers verbirgt. Dies bedeutet, dass manche Menschen Strukturen im Gesicht aufweisen, die auf einen bestimmten „Typ“ hinweisen. Es kann aber durchaus sein, dass sich diese Personen nur in bestimmten Situationen ihren Strukturen entsprechend verhalten. Auch ändern sich die äußeren Strukturen eines Menschen nicht über Nacht, manche Einstellungen oder Charaktereigenschaften, an denen intensiv gearbeitet wurde, können sich allerdings sehr schnell wandeln.

Wie genau wenden Sie Ihr Wissen nun bei der Rekrutierung von Personal an?
Iris Labacher: Ich kann mithilfe der Physiognomik anhand der Strukturen eines Gesichts erkennen, ob mein Gegenüber die Fähigkeiten und Eigenschaften für einen bestimmten Job mitbringt oder nicht.

Ist dies nicht eine gewagte Aussage?
Iris Labacher: Keinesfalls, denn wie bereits erwähnt: Ich wende dieses „Werkzeug“ äußerst wertschätzend und positiv an. Außerdem gibt mir meine Erfolgsquote mehr als recht: Sowohl meine Auftraggeber als auch die von mir vermittelten Personen sind höchst zufrieden und glücklich mit meiner Personalbesetzung.

Könnten Sie uns konkrete Beispiele geben?
Iris Labacher: Alleine die Nase spiegelt zehn verschiedene Charaktere wider. Drei Beispiele: Menschen mit einem konvexen (nach außen gewölbten) Nasenrücken besitzen großes kaufmännisches Geschick. Sie sind gute Manager, Organisatoren und Verwalter. Sie übernehmen gerne Verantwortung, haben hohe Werte und einen guten Hausverstand. Auch können sie gut zwischen Parteien vermitteln. Menschen mit einem konkaven (nach innen gewölbten) Nasenrücken helfen sehr gerne, haben also eine soziale Ader. Sie arbeiten gerne im Team und sind Familienmenschen. Solche Menschen müssen aber aufpassen, dass sie nicht ausgenutzt werden. Interessant ist: Das Gesicht verändert sich das ganze Leben lang, somit kann sich auch die Optik der Nase im Laufe des Lebens ändern.

Was soll das bedeuten?
Iris Labacher: Nehmen Sie bewusst alte Fotos von sich zur Hand. Sie werden feststellen, dass sich ihre Nase – und auch ihr ganzes Gesicht – im Laufe der Zeit verändert haben. Die Persönlichkeitsstrukturen formen das Aussehen. Eine meiner Klientinnen ist ein gutes Beispiel für eben Festgestelltes: Während den Jahren, in denen sie sich ausschließlich auf ihre Rolle als Mutter konzentrierte, hatte ihr Gesicht eher runde Formen – und damit meine ich keinesfalls das Fettgewebe im Gesicht, sondern die Struktur. Als sie sich entschied, wieder zu studieren und einen Job als Managerin anzunehmen, begannen ihre Wangenknochen zu wachsen. Ihr Gesicht wurde kantiger. Anderes Beispiel: Babys haben stets eine runde Stirn und eine konkave Nase. Die runde Stirn steht dafür, dass sie noch viel Wissen aufnehmen werden, die konkave Nase zeigt ihre Schutzbedürftigkeit.

Das heißt also, Stirn und Nase ändern sich je nach den Lebensumständen des Kindes? Sieht man nicht vielmehr seinen Eltern ähnlich – genetisch bedingt?
Iris Labacher: Natürlich sieht man – grob betrachtet – seinen Eltern ähnlich. In der Physiognomik geht es aber um Feinheiten. Auch wenn eine Familie mit fünf Kindern scheinbar durch ihre durchwegs auffallend große Nasen heraussticht, so wird doch jede einzelne Nase ihre ganz speziellen Besonderheiten aufweisen. So verschieden, wie die Menschen sind, so sind auch ihre Gesichter. Zu ihrer ersten Frage: Ja, Stirn und Nase werden sich je nach Lebensweise, Charaktereigenschaften und Einstellungen ändern.

Themenwechsel: Kann man die Physiognomik auch in Sachen Partnerschaft anwenden?
Iris Labacher: Natürlich. Man wird sich zwar auch als Kenner der Physiognomik in eine Frau oder einen Mann verlieben, der offensichtlich Strukturen aufweist, die möglicherweise nicht zu einem passen, aber es ist schon mal gut zu wissen, was einen erwartet. So hat man die Möglichkeit, zu entscheiden, ob man mit gewissen Eigenschaften leben kann bzw. will. Beispiel: Eine Frau mit einer schmalen Gesichtsform – sie wird in ihrer grundlegenden Struktur eher zurückhaltend und vorsichtig sein – befindet sich in einer Beziehung mit einem Mann, der eine sehr breite Gesichtsform aufweist – ein selbstsicherer, eher dominanter und mutiger Mensch. Der Mann sollte wissen, dass sich die Frau sehr schnell „überfahren“ fühlt, wenn er zu schnell und zielstrebig vorgeht. Er wiederum sollte bedenken, dass diese Frau mehr Zeit braucht und sich ein Gefühl von Sicherheit wünscht. Zusammengefasst bedeutet das, dass jeder Mensch ein bestimmtes Naturell besitzt und man dem anderen durch verschiedene Verhaltensmuster nicht „weh“ tun will. Gegenseitiges Verständnis und die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen würde hier die Kommunikation – und damit die Beziehung – deutlich verbessern. So ließen sich die einen oder anderen Streitpunkte mit Sicherheit ausschalten.

Abgesehen von Beruf und Partnerschaft: Wo lässt sich die Physiognomik noch anwenden?
Iris Labacher: Die Physiognomik ist in jedem Lebensbereich anwendbar. So wird sie etwa in der Filmindustrie sehr stark eingesetzt, denn Rollen werden oft nach der Physiognomie der Schauspieler besetzt. Aus diesem Grund sind die Darsteller auch in der Lage, die Rolle unglaublich authentisch zu spielen, da sie sich in ihre Filmfigur außergewöhnlich gut hineinversetzen können.

Wir danken für das Gespräch.

Fazit: Physiognomik ist eine durchaus spannende Methode, um in Gesichtern lesen zu können. Fakt ist aber auch, dass man sich mit dieser Thematik genau auseinandersetzen sollte, um sich nicht an einer möglicherweise irreführenden Oberfläche zu bewegen. Wichtig ist mit Sicherheit, diese Form der „Personenbeschreibung“ mit jener Wertschätzung anzuwenden, wie sie von unserer Interviewpartnerin beschrieben wurde.