Personal- und Organisationsentwicklung zwischen Flipchart und einer hochseetüchtigen, Zweimast Brigantine

Am Sonntagabend, dem Vorabend vor Reisebeginn, kamen die Teilnehmenden, acht Männer und eine Frau in Stralsund an, wo die zweimastige Brigantine vor Anker lag. Das Schiff, die Eye-of-the-Wind, zeigte sich in ihrer ganzen Schönheit. Trotz der beinahe 100-jährigen Geschichte dieses Grosseglers, der in seinem Leben bereits zweimal die Welt umschiffte, ist die Ausstattung vom Feinsten: Zweierkabinen mit Dusche, kalt und warmes Wasser, Toilette, Klimaanlage. Auch das Essen genügte allen Ansprüchen, geschmackvoll zubereitet und ausgiebig.

Am nächsten Morgen, nach einem reichhaltigen Frühstück, liefen wir aus! Alle Teilnehmenden standen an Deck und beobachteten die Crew bei ihren Manövern. Doch nicht lange, denn dann hieß es von unserer Trainerin „Ab unter Deck!“, und der erste Theorieblock begann. Anschaulich wurden die Grundsätze verschiedener Führungsstile erläutert sowie der persönlich bevorzugte diskutiert. In späteren Theorieblöcken, jeweils im Anschluss an die Segelpraxis wurden weitere Themen wie Gesprächs- und Kommunikationstechniken erarbeitet. Bei den Gruppenarbeiten machte sich das Besondere der Lokalität bemerkbar: Keiner konnte entkommen. Es war wie im echten Alltag einer Führungskraft – wenn man sich mit einer Situation konfrontiert sieht, kann man ihr letztendlich nicht ausweichen. Genauso wenig, wie man auf offener See einfach vom Schiff gehen kann.

Spannend und herausfordernd war die jeweilige Umsetzung der Theorie in die Praxis auf dem Schiff. Für die ersten Manöver mussten zuerst drei Führungspositionen besetzt werden. Das Team, bestehend aus einem Softwareentwickler als Skipper, einem Treuhänder als Steuermann und einem Transportunternehmer als Quartiermeister, bereiten sich auf das Segelmanöver mit dem Oldtimer vor. Vom richtigen Kapitän lassen sie sich Briefen, um das „Halsen“ ein Manöver mit dem das Heck des Schiffes durch den Wind gedreht wird, erfolgreich auszuführen. Alle drei haben noch nie gesegelt – und schon gar nicht mit einem Zweimast-Segelschiff das 1911 gebaut wurde. Das Manöver, klar zum Halsen, gliedert sich in fünf Schritte:

1. Fock hissen, das heisst die Vorsegel (Aussenklüver, Innenklüver und Vorstagsegel) aufziehen.
2. Grossmast vierkant brassen, das heisst die Rahen, Rundhölzer die horizontal drehbar sind und an denen die Rahsegel befestigt sind, auf die andere Seite zu drehen, vorgängig jedoch die Rahsegel einzuziehen und am Schluss des Manövers wieder zu hissen.
3. Vormast rund brassen, d.h. beim vorderen Mast die Segel bedienen.
4. Stagsegel übersetzen, d.h. einziehen und - im richtigen Moment - wieder hissen.
5. Grossmast rundbrassen: beim hinteren Mast die Segel bedienen, trimmen und die Leinen festmachen.

Die ersten Kommandos des Skippers in spe, sie erfolgen in Form von Zeichen, weil die Distanz vom Heck zum Bug über 40m ist. Sie werden von den Matrosen, dem Rest der Trainingsgruppe, verstanden und mehr oder weniger korrekt umgesetzt. Bereits zwischen Schritt 3 und 4, herrscht Verwirrung, die Kommandos sind nicht klar, die Matrosen wissen nicht mehr, was zu tun ist und es bricht eine gewisse Hektik bricht aus an Bord.

Die Crew, in ihrer Rolle als Coachs, greifen unterstützend ein, sodass der Zweimaster doch noch rechtzeitig durch den Wind dreht, die Wende schafft und mit den gesetzten Segeln wieder voll Fahrt, rund 5 Knoten, aufnimmt.

Ja, die Wirklichkeit auf dem Schiff, der „Eye of the Wind, mit ihren über hundert Leinen mit denen die Masten, die Rahen und die Segel bedient werden müssen, um den Wind effizient zu nutzen und zu segeln, ist doch etwas anderes als der Büro- oder Werkstatt-Alltag. Die Metapher: „Alle sitzen im gleichen Boot“, ist gelebte Realität. Nur durch eine klare Kommunikation und das Anpacken aller Beteiligten lässt sich ein Ziel erreichen.

Die Problemstellung, das bedeutet das Lösen einer Aufgabe im Team, hat jedoch viele Gemeinsamkeiten mit den betrieblichen Situationen. Erfolgreich ist ein Team nur dann wenn das Ziel klar ist, die zu lösende Aufgabe in Teilschritte zerlegt werden, die auszuführenden Aufgaben und Rollen zugeteilt sind und die Führung eindeutig und klar kommuniziert um, in der Sprache des Seemanns gesprochen, auf Kurs zu bleiben.

Ein Outdoor-Training mit dem erlebnispädagogischen Ansatz ist deshalb nicht unsinnig und fern von der Unternehmenswirklichkeit, wie es auf den ersten Blick zu erscheinen vermag. Die Inhalte betrieblicher Weiterbildung und Trainings sind nie Selbstzweck, unabhängig ob es um die Verbesserung der Führungskompetenz, der Teamfähigkeit oder das Erlernen spezifischer, fachlicher Techniken geht. Personalentwicklung ist deshalb immer auch Potenzialentwicklung. Insbesondere bei Führungskräften wird erwartet, dass sie situativ und verantwortlich das jeweils „Beste“ tun im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Interessen der intern und extern Beteiligen in der Wertschöpfungskette und unter Berücksichtigung der gegebenen Ressourcen im Sinne des Unternehmens und ihrer Ziele zu handeln. Um im System Unternehmen erfolgreich handelnd und gestaltend auf die ablaufenden Prozesse Einfluss nehmen zu können, verschieben sich die Anforderungen weg von der „harten“ Fachkompetenz auf „weiche“ Kompetenzen. Die Entwicklung der Fähigkeiten zur Kommunikation, Arbeit im Team, Kooperation, Koordination, Führung, interdisziplinäre Projektarbeit sowie eigenverantwortliche Selbststeuerung wird zur zentralen Anforderung an betriebliche Weiterbildung. Diese weichen Faktoren, mit Sozialkompetenz bezeichnet, sind unabdingbar um zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten und im System Unternehmen erfolgreich auf die Umsetzung der Ziele auszurichten. Der Mix aus Fach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz zusammen ergibt die Systemkompetenz. Die als „best practice“ in der individuellen Biographie erworbene Systemkompetenz genügt jedoch in komplexen Systemen, wie sie Unternehmen darstellen, nicht mehr. Sie muss durch Training und Personalentwicklung erworben werden.

Was ist nun der besondere Nutzen des erlebnispädagogischen Trainings? Dies lässt sich am folgendem Modell erklären.

  • Die Komfortzone: Am liebsten bewegen wir uns in Systemen, d.h. Umgebungen und Situationen, die uns vertraut sind, wo wir alles im Griff haben. Hier können wir uns in bewährten Mustern bewegen.
  • Die Stretchzone: Im Arbeitsumfeld gelingt es aber nicht immer, in der Komfortzone zu verharren. Neue Anforderungen, z.B. die Einführung neuer IT-Technologien oder eine Re-Organisation, werden als Störung des Gewohnten wahrgenommen und erfordern zur Bewältigung die Entwicklung veränderter Verhaltensstrategien. Um die Situation erfolgreich gestalten zu können, muss das eigene Verhalten reflektiert und durch zielführende Handlungsalternativen oder Varianten erweitert werden. Dazu greifen wir auf vorhandene Kompetenzen zurück und kombinieren diese neu um die veränderte Situation zu bewältigen. Die Stretchzone fordert die vorhandene Systemkompetenz. Wir sind gezwungen bewährte Muster zu verlassen und unsere Kompetenzen neu zu bündeln.
  • Die Stresszone: Das sind Situationen die uns in unserer Fähigkeit, Kompetenzen zielorientiert zu kombinieren überfordern, mit der Konsequenz, dass wir in alte Muster zurückfallen, die für die Problemlösung im besten Fall, suboptimal ist.

Was bedeutet das nun für das erlebnispädagogische Training in der betrieblichen Weiterbildung? Beim Outdoor-Training gelingt es eher, die eingefahrenen Muster in Frage zu stellen. Der ungewohnte Kontext schafft eine Stretchzone bis hin zur Stresszone, welche die bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Kompetenzen fördert und sowohl individuelle Potenziale als auch Defizite verdeutlicht.

Ein Outdoor-Training stellt somit das Experimentierfeld für den Umgang mit fordernden Situationen und den Einsatz der persönlichen Systemkompetenz dar. In einem solchen Kontext werden auch Möglichkeiten geschaffen, neues Verhalten auszuprobieren und einzuüben. Sie eröffnet den Teilnehmern ihre Kompetenzen in einem geschützten Rahmen für den Einsatz im Arbeitsalltag zu erweitern. Das Outdoor-Training ermöglicht affektives wie kognitives Lernen. Das tatsächliche Erleben und die damit verbundenen Gefühle verstärken die rationale Einsicht. Beim Outdoor-Training geht es keineswegs darum perfekt zu sein und eine Übung möglichst fehlerfrei zu absolvieren. Nicht „was getan“ wird sondern „wie es getan“ wird, welche Überlegungen dem Handeln zugrunde liegen, steht im Fokus. Der Vorteil dieses Trainings liegt auch in den Wirkungszusammenhängen mit der Natur. Sind im Seminarraum die installierten Übungen und Planspiele meist rein theoretisch und haben immer auch einen virtuellen Rahmen und beanspruchen vor allem kognitive Kompetenzen, so werden die Teilnehmenden im Lernraum „draussen“ mit realen Herausforderungen konfrontiert, die sie zusätzlich zum Planen auch zum Handeln bringen. Durch Outdoor-Training werden theoretische Begriffe wie Verantwortung, Mitbestimmung oder Teamgeist für die Teilnehmenden nicht nur erlebbar, sondern in ihrer Bedeutung begreif- und gestaltbar gemacht. Sie bieten somit in der direkten Auseinandersetzung mit den Ergebnissen des eigenen Handelns die Chance, bewusste, zielgerichtete Verhaltenssteuerung für den Arbeitsalltag einzuüben.

Das grosse Potenzial dieser Methode liegt in den Übungssituationen, die in der Komplexität ihrer Anforderungen sowohl dem Einzelnen als auch der Gruppe den Nutzen bieten, sich als wesentlicher, gestaltender Teil des Ganzen zu erleben. Die mit den Übungen verbundenen Reflexionsphasen verschaffen den Teilnehmern die Möglichkeit, sich über die Bedeutung des Erlebten auszutauschen, und unterstützen die bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Verhaltensmustern und Problemlösungsstrategien.

Outdoor-Training ist eine konstruktive Methode die das kontrollierte Verlassen der Komfortzone erlaubt und den Einsatz vorhandener Kompetenzen sowie die Entwicklung neuer Kompetenzen in einem geschützten Umfeld fordert und fördert. Das „echte und natürliche“ Umfeld bietet einen idealen Rahmen um die Arbeit an der Systemkompetenz zu trainieren.

Fachkompetenzen wie:
  • handwerkl. Können
  • Prozessmanagement-Wissen
  • Informatik-Kenntnisse
  • Aus- und Weiterbildungen / Diplome
  Methodenkompetenzen wie:
  • Projektmanagement
  • Problemlösungsmethoden
  • Präsentation / Rhetorik
  • Konfliktbearbeitung
  • Verhandlungskompetenz
  Systemkompetenz
Entsteht aus dem situativ zur Zielerreichung erforderlichen Mix aus allen vier Kompetenzbereichen
 
Sozialkompetenzen wie:
  • Kommunikation
  • Empathie
  • Führungs-Verhalten
  • Authentizität
  • Konfliktverhalten
  • Kritikfähigkeit
  Selbstkompetenzen wie:
  • Selbstreflexion
  • Frustrationstoleranz
  • Fähigkeit zur Selbststeuerung
  • Motivationsfähigkeit

Unter dem Begriff Outdoor-Training werden verschiedene Spielarten zusammengefasst. Eine ganz besondere, auch vom Erlebniswert, ist die auf dem Schiff Eye-of-the-Wind www.eyeofthewind.net)