Sexuelle Belästigung

engl.: sexual harassment

vorsätzlich sexuell bestimmtes Verhalten, das die Würde des Betroffenen verletzt oder ihn erheblich stört und deutlich erkennbar von ihm abgelehnt wird.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Zumutung für die Betroffenen, behindert organisatorische Abläufe und verstößt gegen gesetzliche Vorschriften. Dass sie trotz ihrer eindeutigen Ablehnung ein ergiebiges Diskussionsthema ist, liegt an der Schwierigkeit ihrer Abgrenzung von anderen Verhaltensweisen (Holzbecher et al. 1997).

Zu der Frage, was die Würde des Menschen verletzt, existiert eine ausführliche Rechtsprechung. Was den Betroffenen im Einzelnen erheblich stört, ist objektiv jedoch kaum zu beurteilen. Einer vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahre 1997 zufolge herrscht unter den Befragten weitgehend Einigkeit darüber, dass körperliche Übergriffe und sexuelle Erpressungen als Belästigung empfunden werden, während sie unter anderem in Abhängigkeit kultureller Hintergründe über das Hinterherpfeifen, Erzählen anzüglicher Witze oder Anbringen von Nacktfotos in Spinden geteilter Meinung sind.

Um für Gegenmaßnahmen breite Akzeptanz zu finden und mehr Wirkungen als Nebenwirkungen zu erzielen, könnte eine enge Abgrenzung sinnvoll sein.

Kritisch für die Abgrenzung sexueller Belästigung ist weiterhin die Frage der Ablehnung durch den Betroffenen. Angesichts der Tatsache, dass viele Ehepaare sich am Arbeitsplatz kennen lernen und empirische Untersuchungen, zum Beispiel von Neuberger (2002), übereinstimmend darauf hinweisen, dass ein Drittel aller Beschäftigten eine sexuelle Beziehung am Arbeitsplatz unterhalten oder schon einmal unterhalten haben, kann nicht bei jeder sexuellen Annäherung von einer Belästigung gesprochen werden. Um den Tatbestand der sexuellen Belästigung feststellen zu können, bedarf es daher bei solchem Verhalten, das nicht bereits die Würde des Betroffenen verletzt, seiner erkennbaren Ablehnung.

Sexuellen Belästigungen könnte vergleichsweise einfach entgegengewirkt werden, wenn der Kreis der Täter und Opfer begrenzt wäre. Dass ausschließlich Männer Frauen sexuell belästigen, kann nicht als gesichert gelten. Es gibt auch gegenteilige empirische Befunde (Rastetter 1994). Bekannt ist, dass Männer seltener über sexuelle Belästigung klagen als Frauen. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass sie unter ihr weniger leiden oder befürchten könnten, im Falle der Äußerung unglaubwürdig zu erscheinen.

Die oben erwähnte Studie des Bundesfamilienministeriums, in der auch 19 % der Männer angaben, sexuell belästigt geworden zu sein, hat gezeigt dass die Belästiger mit etwa 30 bis 50 Jahren tendenziell älter sind als die Belästigten mit rund 20 bis 30 Jahren. Die Betriebszugehörigkeit der Belästiger beträgt überwiegend zehn Jahre und mehr, die Belästigten sind meist erst kurze Zeit am Arbeitsplatz. Über 60 % der Belästiger sind verheiratet, unter 10 % leben in einer festen Partnerschaft, nur 13 % sind allein stehend. Interessant ist auch die Angabe, dass sexuelle Belästigungen meistens von Kollegen und nicht etwa von Führungskräften ausgehen. Kunden treten ebenso häufig als Belästiger in Erscheinung wie Führungskräfte. Einzelne Stereotypen von sexuellen Belästigern stellen demnach nicht die Mehrheit; vielmehr geht sexuelle Belästigung von Angehörigen nahezu aller Gruppen aus.

Sexuelle Belästigung kann ein triebhaftes Verhalten des Belästigers darstellen oder absichtlich zur Erniedrigung des Belästigten eingesetzt werden. In letzterer Hinsicht ist sexuelle Belästigung allerdings ambivalent, denn durch die Behauptung von sexueller Belästigung lässt sich auch in umgekehrter Richtung Macht ausüben (-> Mikropolitik).

Soziale Kontrollmechanismen sind grundsätzlich dazu geeignet, um sexuelle Belästigung zu verhindern, sie können allerdings in zweierlei Hinsicht versagen:

  1. Subkulturen können sich bilden, in denen sexuelle Belästigung gutgeheißen oder geduldet wird, und sie sich dementsprechend ungehemmt entwickelt. Eine heterogene Besetzung von Gruppen mit beiden Geschlechtern könnte die Subkulturbildung in dieser Hinsicht eindämmen oder verhindern.
  2. Sexuelle Belästigungen treten im Rahmen von Zweierbeziehungen auch in intakten Kulturen auf, wenn der Belästigte keine Möglichkeit hat, sich mit seiner Klage an das soziale Umfeld zu wenden.

Falls der Zwang zum Schweigen in einem Abhängigkeitsverhältnis begründet ist, kann ein Abbau der Machtposition des Belästigers durch größere Transparenz der Beziehung oder objektivierte Beurteilungen Abhilfe schaffen, Falls sexuelle Belästigung ein Tabuthema darstellt und es dem Belästigten an einer öffentlichen Plattform für sein Problem fehlt, ist diese durch breit angelegte Gesprächsinitiativen dezentral zu etablieren oder zentral als Anlaufstelle einzurichten. Zusätzlich können Führungskräfte dazu angehalten werden, verdächtigen Vorgängen in ihrer Arbeitsgruppe von sich aus auf den Grund zu gehen und nicht auf die Ansprache durch die Belästigten zu warten.