Multiperspektivität

methodischer Managementansatz, der auf einer Integration verschiedener Betrachtungsperspektiven basiert mit dem Ziel, differenziert und dennoch ganzheitlich Problemanalysen und Problemlösungsempfehlungen zu realisieren.

Der Grundgedanke der Multiperspektivität findet sich in multiperspektivischen Kreativitätstechniken, etwa in den sechs "Denkhüten" von de Bono (1985), die sich Problemlöser je nach Präferenz und Fragestellung "aufsetzen" können und die in ihrer Anwendung auf dasselbe Objekt zu unterschiedlichen Ergebnissen führen:

  1. Der weiße Hut beschäftigt sich neutral mit konkreten Fakten des Objekts.
  2. Der rote Hut befasst sich mit Emotionen im Hinblick auf das Objekt.
  3. Der schwarze Hut betrachtet die negativen Seiten des Objekts.
  4. Der gelbe Hut drückt die positiven Erwartungen gegenüber dem Objekt aus.
  5. Der grüne Hut fokussiert kreative, innovative Aspekte des Objekts
  6. Der blaue Hut realisiert den Gesamtüberblick.

Diese Hüte, die im Hinblick auf ihre Anwendung jeweils die gleiche Legitimation besitzen, werden im Verhaltenstraining eingesetzt, um Managern begrenzte Denkweisen aufzuzeigen, sie im parallelen und lateralen Denken zu schulen und eine sukzessive Erweiterung ihres Denkhorizonts zu erreichen.

In der Organisationslehre erlangt die Multiperspektivität durch Morgan (1986) Bekanntheit, der die Organisation in ihrer Komplexität, Vieldeutigkeit und Paradoxie erfassen will und daher in Form verschiedener Metaphern betrachtet - als Maschine, Organismus, Gehirn, Kultur, politisches System, psychisches Gefängnis, Fluss und Wandel sowie als Machtinstrument. Sie sind mit Managementtheorien verbunden und beeinflussen das Denken über Organisationen wie auch das Handeln in Unternehmen. Auf ihrer Basis entwickelt er eine Diagnostik, die aus differenzierter Situationserfassung und kritisch bewertender Interpretation besteht.

Auch Scholz (2000) fordert im Umgang von Unternehmen mit der Komplexität und der Dynamik ihrer Umwelt die bewusste, explizite, professionelle und simultane Berücksichtigung mehrerer organisatorischer Aspekte und damit die Multiperspektivität. Ein Gestalter muss danach das komplexe Unternehmen mit einem angemessen hohen eigenen Komplexitätsgrad bewältigen. Seine Perspektiven

  • strategisch (Zielaspekte),
  • mechanisch (Strukturaspekte),
  • organisch (Entwicklungsaspekte),
  • kulturell (Unternehmenskulturaspekte),
  • intelligent (Wissensmanagementaspekte)
    und
  • virtuell (Kooperationsaspekte)

dienen hierzu als Raster: einerseits zum Verstehen des Unternehmens, andererseits zum Gestalten der einzelnen Entscheidungsfelder. Jeweils bilden theoriebasierte Modelle und empirische Befunde einen Erklärungsrahmen, bewährte Methoden und Instrumente geben Hinweise für die Gestaltung. In jeder Perspektive finden sich mehrere Leitideen, die zusammen genommen eine Checkliste der multiperspektivischen Organisationsgestaltung ergeben. Mit dieser Multiperspektivität liegt eine spezifische Vorgehensweise zur systematischen Bewältigung des imposant breiten Aufgabenspektrums der Unternehmensführung und -gestaltung vor, mit deren Hilfe man Zugang zu organisatorischen Problemen gewinnt. Es geht weder um die Bevorzugung noch um die Marginalisierung einer bestimmten Perspektive: Unternehmen müssen sich jedoch zumindest vor Augen führen, dass jede der sechs Perspektiven wichtig zur Erfassung des Gesamtbildes ist und dass Veränderungen, die Aspekte einer einzigen Perspektive betreffen, regelmäßig Veränderungen in allen anderen Perspektiven mit sich bringen.

Der entscheidende Vorteil der Multiperspektivität liegt in ihrer schrittweisen Anwendung: Zunächst werden unternehmensbezogene Sachverhalte ausschließlich jeweils unter den isolierten Perspektiven betrachtet, so dass hier unterschiedliche Probleme sichtbar werden. Diese werden dann aus der jeweiligen Perspektive hinsichtlich ihrer Lösung diskutiert. Dadurch entsteht ein breiter Alternativenraum. Erst in einem weiteren Schritt erfolgt ein Abgleich der Probleme und der Lösungsvorschläge im Gesamtzusammenhang. Zur Gestaltung eines solchen multiperspektivischen Prozesses lassen sich integrierende Strukturierungsmethoden wie die Syntegrity-Methode (Beer 1994) einsetzen.

Kritisiert wird an der Multiperspektivität, dass die zu schematische Verwendung kraftvoller Metaphern blind machen kann für Sachverhalte, die sich nicht in der Metapher finden. Diese Kritik ist aber eher selten und richtet sich im Grunde viel stärker gegen die monoperspektivische Nutzung von Metaphern.

Die Personalarbeit (-> Personalmanagement) ist ein unmittelbares Anwendungsfeld für die Multiperspektivität: Gerade die Mitarbeiter von Personalabteilungen sind häufig in der Monoperspektivität gefangen, die bereits durch die Berufsbilder für Personaler impliziert wird. Hieraus resultieren viele Probleme im Hinblick auf Qualität und Professionals der Personalarbeit. Die Anwendung der Multiperspektivität lässt hier eine qualitative Verbesserung erwarten. Unter Heranziehung der sechs Perspektiven von Scholz (2000) ergibt sich für die Personalarbeit eine Fülle von Ansatzpunkten:

  1. Die strategische Perspektive setzt an der Personalstrategie an. Analysiert und optimiert werden hier deren konsequente Orientierung an den Unternehmenszielen und die stringente Ausrichtung an zentralen Aktionsfeldern. Zur Herstellung einer strategischen Effektivität werden Personalmanagementziele unter Berücksichtigung der Ansprüche relevanter Interessengruppen formuliert. Strategisches Verhalten soll sicherstellen, dass die Personalarbeit zur Wertschöpfung des Unternehmens nachprüfbar beiträgt und zukünftige Entwicklungen antizipiert. Die Entwicklung strategischer Kräfte zur Personalstrategieumsetzung berücksichtigt die strategischen Potenziale des Unternehmens, analysiert strategische Bewegungen der Umwelt und identifiziert strategische Barrieren. Strategische Stimmigkeit schließlich führt in der Personalsystemgestaltung zur konsistenten Ausrichtung der Personalarbeitskomponenten untereinander, im Verhältnis zum Gesamtunternehmen und zur Umwelt.
  2. In der mechanischen Perspektive geht es um die Organisation der Personalarbeit in ihren Strukturen und Prozessen, um ihr Funktionieren zu sichern. Dies umfasst den Aufbau der Personalabteilung sowie die Prozessoptimierung der Personalarbeit samt dem Personalcontrolling und dient der Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses von Stabilität und Flexibilität. Gefährlich wird es, wenn diese Mechanismen anfangen, das unternehmerische Handeln und Denken exklusiv zu bestimmen.
  3. Aus der organischen Perspektive heraus wird Personalmanagement als eigenständiger Organismus betrachtet, der komplexe Systemcharakteristika aufweist und Entwicklungsphasen durchläuft. Solche Dynamiken finden sich beispielsweise in den Steuerungslogiken der Personalarbeit und im Wachstum der Personalabteilung.
  4. Die kulturelle Perspektive thematisiert die mentalen Einstellungen der Mitarbeiter zur sowie in der Personalarbeit und die daraus hervorgehenden Handlungsweisen. Kultur ist letztlich "sozialer Klebstoff", der das Normen- und Wertesystem (-> Normen und Werte) zusammenhält, aber auch Handeln erschweren kann. Für einen bewussten Umgang ist nicht nur von Interesse, ob sich in der Personalabteilung Subkulturen bilden, sondern auch, wie Landeskulturen das Personalmanagement beeinflussen. Im Hinblick auf die Kultur-Stimmigkeit ist zu beachten aber, dass auch die Personalmanagementkultur zur Personalstrategie, den Systemen und zur Umwelt stimmig sein sollte. Schließlich können sich auch in der Personalarbeit Eigenarten entwickeln, die sich im negativen Extremfall vom unangenehmen Spleen zur ausgewachsenen, krankhaften Pathologie entwickeln, denen frühzeitig zu begegnen ist.
  5. Die intelligente Perspektive berücksichtigt zum einen die Wissensbasis, die sicherstellt, dass Personalmanagementwissen im Unternehmen personenunabhängig gespeichert und zugänglich ist, zum anderen die Lernprozesse auf individueller Ebene wie auch auf Gruppenebene, die letztlich zur Professionalisierung der Personalarbeit beitragen.
  6. Die virtuelle Perspektive stellt sich den Herausforderungen, die der Personalarbeit durch die Computerisierung und Dezentralisierung entgegengebracht werden. Einerseits halten virtuelle Realitäten Einzug in die unterschiedlichsten Felder des Personalmanagements, so etwa als eLearning in der Personalentwicklung und in Form der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Andererseits erfordert eine kooperative Erstellung der Personalarbeit, insbesondere in Form einer virtuellen Personalabteilung, die Fokussierung auf Kernkompetenzen, deren Integration in eine personalwirtschaftliche Wertschöpfungskette und deren Kommunikation unter Bildung eines "one-face-to-the-customer" gegenüber den internen und externen Kunden der Personalarbeit.

Die Zusammenführung der sich aus der mutiperspektivischen Analyse ergebenden Partiallösungen unter dem Grundpostulat strategischer Stimmigkeit führt zu einer breit durchdachten, über die verschiedenen Perspektiven hinweg wechselseitig aufeinander bezogenen Personalarbeit.