Dilemmata der Führung

Vorgesetzte sind keine autonomen Persönlichkeiten, sondern Zwängen und Beeinflussungen ausgesetzt. Sobald dies sowie die Kollidierung mit persönlichen Motiven (und Motivation) wahrgenommen wird, entsteht ein Dilemma bzw. ein Intrarollenkonflikt.

Neuberger geht von der realitätsnahen These aus, dass Vorgesetzte notgedrungen und unabwendbar (allenfalls manchmal gemildert) auch im Rahmen der Mitarbeiterführung mit Widersprüchen auskommen müssen, aus denen heraus es für sie keinen eindeutigen Ausweg geben kann. Dabei entstehen Dilemmata der Führung für die Vorgesetzten.

Eine Wahlfreiheit für ihr Führungsverhalten haben Führungskräfte selten. Sie treffen ihre diesbezüglichen Entscheidungen nach Abwägung zwischen verschiedenen, antizipierten Folgen, die oft mehrdimensionalen, nicht auf eine Ebene zurückführenden Charakter haben, zwischen Verstand und Gefühl, zwischen offenen wie latenten Widersprüchen, eingezwängt in unangenehme Bedingungen. Vorgesetzte, die diese Unvollkommenheit und die damit verbundene Unsicherheit erleben, befinden sich insofern in einem Dilemma (Rollendilemma).

Es sind aufgrund der inneren Zwiespältigkeit des Führens anderer Personen Kompromisse zwischen als alternativen, i. d. R. jedoch als unverzichtbar erscheinenden Aspekten notwendig. Das Ignorieren der vorliegenden Ambivalenz wird von Neuberger letztlich als nachteiliger eingeschätzt, als die Friktionen, die bei der bewussten Auseinandersetzung entstehen können. Da es aus den Dilemmata letztlich keinen reibungslosen Ausweg gibt, erzeugen diese individuellen Leidensdruck bei den Führern, der allerdings im beruflichen Alltag weitgehend tabuisiert wird. Von daher dürfte es um so wichtiger sein, diesen Problemen nachzugehen.

Folgende Abb. D-1 gibt einen Überblick über die von Neuberger angesprochenen 13 Dilemmata:

(1) Mittel
Betrachtung des einzelnen als "Kostenfaktor", "Instrument", "Leistungsträger", "Mensch als Mittel"
Zweck
Selbstverwirklichung und Motivbefriedigung des Einzelnen als oberstes Ziel: "Mensch im Mittelpunkt"
(2) Gleichbehandlung aller
Fairness, Gerechtigkeit, Anwendung allgemeiner Regeln, keine Bevorzugungen
Eingehen auf Einzelfälle
Rücksichtnahme auf die Besonderheiten des Einzelfalls, Aufbau persönlicher Beziehungen
(3) Distanz
Unnahbarkeit, hierarchische Überlegenheit, Statusbetonung
Nähe
Wärme, Gleichberechtigung, Freundschaft, Einfühlung
(4) Fremdbestimmung
Gängelung, Reglementierung, Unterordnung, Zentralisierung, Kontrolle
Selbstbestimmung
Autonomie, Handlungs-/Entscheidungsfreiräume, Entfaltungsmöglichkeiten, Selbstständigkeit
(5) Spezialisierung
"Fachmann/-frau" sein, um bei Sachproblemen kompetent entscheiden zu können
Generalisierung
Zusammenhänge sehen und einen allgemeinen Überblick, jedoch keine Detailkenntnisse haben
(6) Gesamtverantwortung
wenig Verantwortung und Zuständigkeit delegieren, für alle Fehler einstehen
Einzelverantwortung
Verantwortung und Aufgaben aufteilen, bei Fehlern Rechenschaft fordern
(7) Bewahrung
Stabilität, Tradition, Vorsicht, Regeltreue, Konformität
Veränderung
Flexibilität, Experimentierfreude, Toleranz, Nonkonformität
(8) Konkurrenz
Rivalität, Konfrontation, Aggressivität
Kooperation
Harmonie, Hilfeleistung, Solidarität, Ausgleich
(9) Aktivierung
antreiben, drängen, motivieren, begeistern
Zurückhaltung
sich nicht einmischen, Entwicklungen abwarten
(10) Innenorientierung
sich auf interne Gruppenbeziehungen konzentrieren, Mittelpunkt sein
Außenorientierung
Außenkontakte pflegen, Gruppeninteressen gegenüber Dritten durchsetzen
(11) Zielorientierung
Ziele vorgeben und Erreichung kontrollieren
Verfahrensorientierung
die "Wege zum Ziel" vorgeben und kontrollieren
(12) Belohnungsorientierung
Tauschbeziehung etablieren, mit Belohnung/Bestrafung operieren, Kurzzeitperspektive
Wertorientierung
Verinnerlichung von Normen/Werten anstreben, Belohnungsaufschub fordern, Langzeitperspektive
(13) Selbstorientierung
Verfolgung eigener Interessen und Ziele
Gruppenorientierung
Kompromisse/übergeordnete Ziele anstreben