Wissensmanagement: Implizites Wissen - Explizites Wissen

Was hat es auf sich mit dem Begriffspaar implizites und explizites Wissen?

Fast alle Modelle und Theorien des Wissensmanagements beziehen sich direkt oder indirekt auf Mihalyi (Michael) Polanyi, der aus einer Wiener Familie stammte, die kurz vor seiner Geburt nach Budapest zog. Berühmt wurde er zu Lebzeiten durch seine bahnbrechenden Arbeiten der physikalischen Chemie über die Absorption von Gasen. Angesichts der Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg angesichts seines liberalen, jüdischen Familienhintergrunds und der Flucht nach London wandte sich sein Streben in der Folge zu den Grundlagen einer freien und offenen Gesellschaft als Gegenentwurf und Prävention gegenüber der Tyrannei, die er erleben musste.

Implizites Wissen wird von tacit abgeleitet

Von Polanyi stammt ein Werk namens "The Tacit Dimension", das noch heute als meist zitiertes Werk für das Wortpaar implizit/explizit genannt wird. Obwohl "tacit" eigentlich eher still bedeutet. Auffallend ist, dass er Zeit seines Lebens darauf hinwies, dass alles Wissen "is either tacit or rooted in tacit knowledge" (immer im impliziten Bereich begründet liegt. Knowing and Being, 1969). Was aber ist nun dieses tacit, wenn es die Basis allen Wissens sein soll? Zunächst begründet er Wissen im Akt der Aufmerksamkeit. Diesen teilt er in einen fokussierten und eine ergänzenden Vorgang, wobei der fokussierende Akt der Aufmerksamkeit jeweils einen aktuellen Anlass im Hier und jetzt hat (proximal) und die ergänzende Aufmerksamkeit eher in einem kaum bewussten Hintergrundwissen (distal) liegt.

Ein Beispiel: Beim Einschlagen eines Nagels fokussieren sich die Menschen auf die Hand, die den Nagel hält, damit sie sich nicht auf den Daumen hauen. Die Hand, die den Hammer führt, wird jedoch von der ergänzenden, latenten Aufmerksamkeit geleitet. Oder das Klavierspielen: Wenn man sich als Klavierspieler nicht auf das Stück als Ganzes konzentrieren würde (Hintergrundaufmerksamkeit) sondern auf die Bewegungen der einzelnen Finger, was ja das nächst liegende wäre, wäre das Klavierspielen praktisch unmöglich. Wichtig ist zu wissen, dass die ergänzende Aufmerksamkeit nicht unbewusst ist.

Polanyi definiert vier Aspekte des tacit knowing

Spitzfindige Geister unterscheiden zwischen tacit knowledge und tacit knowing, was aber erst dann sinnvoll wäre, wenn jemand soviel über Wissen wüsste, dass man einen Unterschied zwischen Wissen als Akt und Wissen als System definieren könnte. Das müsste dann logischerweise von einem Standpunkt außerhalb nämlich oberhalb des Wissens geschehen, was wohl in den nächsten Jahrtausenden nicht möglich sein wird.

Zurück zu Polanyi: Es geht um das Integrieren von Einzelheiten zu etwas, dass die Summe der Details übersteigt.

A: Die Funktionale Struktur von tacit knowing besteht darin, dass wir "automatisiert" vom nahe liegenden Vorgang (proximal) zur zugehörigen, dahinter liegenden Aufmerksamkeit geführt werden, ohne dass wir dieses Zusatzwissen oder dieses Hintergrundverständnis genau ausgesucht oder herbeigerufen hätten.

B: Die Phänomenale Struktur des tacit knowing kommt einer Theorie namens Gestalttheorie sehr nahe. Kurz gesagt geht es darum, dass etwas nur als eine Einheit (von Information oder Existenz) angesehen werden kann, wenn es vom umgebenden Hintergrund unterschieden wird. Ein Vogel, der am Himmel fliegt kann nur unter der Tatsache als Vorgel interpretiert werden, dass wir hoch gucken, Himmel im Hintergrund haben und wissen, dass das schnelle Etwas da oben ein Vogel sein muss. Jemand der dasselbe sieht und den Begriff des Vogels mit seinen Lebensbedingungen nicht kennt, wird niemals auf so eine Interpretation kommen. Im Unterschied zur Gestaltpsychologie sieht Polanyi das Entstehen einer "Gestalt" nicht als spontan, sondern als Ergebnis einer aktiven Gestaltung von Erfahrung an. Diese Gestaltung oder Integration von gemachten Erfahrungen hält er für die große Macht, durch die alles Wissen entdeckt und für wahr gehalten wird.

C: Der Semantische Aspekt betont die Tatsache, dass der fliegende Vogel vor dem Hintergrund des blauen, unveränderten Himmel eine besondere Bedeutung für uns hat. (Differenz zum gleichförmigen und unbewegten Blau des Himmels)

D: Der Ontologische Aspekt kombiniert all vorhergehenden Aspekte und erkennt dann eine Existenz in der Verbindung von Vordergrund- und Hintergrund-Aufmerksamkeit. In diesem Fall ist der Vogel entstanden; nicht für Was ist nun explizit? die Welt sondern für den Betrachter. Denn Wirklichkeit entsteht eben immer nur im subjektiven Zusammenhang. Insofern nahm Polanyi einiges von der konstruktivistischen Idee vorweg, dass es nichts zu Wissen gibt, was außerhalb des Subjektivität existieren würde.

Für Polanyi besteht tacit knowing aus einer Triade: Zunächst sind da Hintergrund und ergänzende Annahmen zu dem zweiten Punkt, dem aktuellen Objekt oder Zustand, denn wir als Erstes gerade im Blick haben. Dies kann, muss aber nicht bewusst sein. Das dritte Element ist dann der Mensch selbst als Beobachter oder Wissender.

Was ist nun explizit?

Explizites Wissen ist einfach das, was man beschreibbares Regel- und Faktenwissen bezeichnet. Alles, was bereits in einem abstrakten Medium wie der Sprache oder der Schrift codiert und damit formalisiert wurde. Anleitungen, Abhandlungen und Dokumentationen im weitesten Sinn. Aber ohne den Zusammenhang der tacit dimension ist laut Polanyi alles explizite Wissen bedeutungslos (Knowing and Being, 1969). Denn wenn zwei Menschen dasselbe Buch lesen, haben sie nicht dasselbe Wissen nachher, Sie verfügen nur über dieselben Inhalte. Aber allein der Teil des Buches an den sie sich erinnern, ist schon stark unterschiedlich. Noch größer wird die Differenz, wenn es darum geht, solche Inhalte in geplantes Verhalten, also Handlung, umzusetzen. Explizites Wissen ist daher immer der Relevanz unterworfen und die liegt vor allem in dem Kontext, den der Wissensdurstige mitbringt. Vergleichbar der funktionalen Struktur beim impliziten Wissen verstehen wir beim Lesen oder zuhören nur das, was wir auch verstehen wollen.

Fazit

Es geht also beim Wissen und damit auch beim Lernen darum, den Hintergrund einer Person zu adressieren, um erfolgreich zu sein. Das beinhaltet die Bereitschaft des Wissenwollenden, sich Neuem gegenüber zu öffnen. Aber aus Untersuchungen weiß man, dass Menschen eher das sehen, was sie glauben, als das zu glauben, was sie sehen. (Andrew C. Inkpen, Mary M. Crossan: Seeing is Believing, 1995). Das bloße Repräsentieren von Wissen, seien es Projektdokumente, Archivinhalte oder Online-Learning bereitet noch nicht den Boden für eine lernende oder gar wissende Organisation. Sie brauchen den mentalen Hintergrund der Menschen und das Vertrauen der Mitarbeiter.