Wer geht den Schritt nach oben?

Führungspotenzial in den Mitarbeitern entdecken und fördern von Frank M. Scheelen

Das Unternehmen Mustermann AG sucht für seine Marketing-Abteilung eine Führungskraft. Herr Maier und Frau Müller stehen für die Führungsposition im Gespräch. Beide sind in der Firma "groß geworden" und hervorragende Mitarbeiter, die sich als High-Potentials etabliert haben. In den eigenen Reihen Nachwuchs-Führungskräfte heranzubilden, hat einige Vorteile für Unternehmen: Die jungen Entscheider kennen den Betrieb mit seinen internen Abläufen, Mitarbeitern, Management und Kunden - und umgekehrt. Jeder "Stakeholder" im Unternehmen weiß, woran er ist. Junge Talente zu befördern, ist oft auch die einzige Möglichkeit, ihre wertvolle Expertise im Unternehmen zu halten.

Doch wird sich nicht jeder fachlich brillante Mitarbeiter auch zur hervorragenden Führungskraft entwickeln, denn Fachkenntnisse alleine reichen dafür nicht aus. Vielmehr muss zusätzlich ein Repertoire an sozialen und fachlichen Führungskompetenzen vorhanden und ausgebildet sein, damit der neue Chef oder die neue Chefin voll akzeptiert wird und das Team richtig führen kann. Eigenständigkeit, unangenehme Entscheidungen treffen und verständlich machen zu können, sowie aufgeschlossen mit den Mitarbeitern umgehen zu können, sind Beispiele für dringend erforderliche soziale Kompetenzen. Wie unterscheidet sich denn nun ein High- Potential, der "das Zeug" zur Führungskraft hat von einem Mitarbeiter, der für eine Führungsposition weniger geeignet ist? Die Fachkenntnisse sind dabei oft nicht das ausschlaggebende Kriterium, sondern persönliche Eigenschaften, Verhaltensweisen, Potenziale und Talente. Diese lassen sich durch Diagnostik- Tools, wie z. B. das bekannte ASSESS®, individuell erfassen. Vorteil hierbei ist, dass die erforderlichen Kompetenzen konkret auf die jeweils zu besetzende Position und das auftraggebende Unternehmen bezogen und in der Erfassung abgestimmt werden können. So kann ein unternehmens- und positionsspezifisches Kompetenzmodell entwickelt werden, auf dem sich die Eigenschaften und Verhaltensweisen des jeweiligen Kandidaten abbilden lassen. Erst dieser Prozess des Benchmarkings (SSMProzess) ermöglicht ein exakt passendes Kompetenzprofil mit bestimmbaren Werten. Dieses bildet dann die Basis für die Messung der Potenziale, Talente und Kompetenzen des Kandidaten (Measuring). Bereits in ausreichendem Maße vorhandene Kompetenzen werden so in einer Gap-Analyse genauso ersichtlich wie vorhandenes Entwicklungspotenzial. Der Vorteil dieser Maßnahme: Die Mitarbeiter können individuell optimal positioniert und gezielt gefördert werden und so effizienter und erfolgreicher ihre Aufgaben erfüllen (Developing).

Kompetenzen anschaulich erfassen und darstellen

Um diese Vorgehensweise anschaulich darzustellen, erläutern wir im Folgenden an zwei Beispielen woran eine potentielle Führungskraft im Vergleich zu einem eher weniger geeigneten Mitarbeiter zu erkennen ist. Die Grundlage dieser Beispiele ist eine konkrete Anforderung an die zu besetzende Führungsposition in dem auftraggebenden Unternehmen Mustermann AG. Dazu werden 10 Kernkompetenzen gemeinsam mit dem Management des Unternehmens definiert, die für die zu besetzende Position wichtig sind. Diese werden dann bei den Kandidaten Herrn Maier und Frau Müller per Fragebogen erfasst und ausgewertet. So kann deutlich gemacht werden, wo genau Entwicklungspotenzial steckt und welche Maßnahmen individuell erforderlich sind, um eine effizientere Arbeitsweise zu ermöglichen. Die Grafiken in Abb. 1 und 2 stellen das Kompetenzprofil des jeweiligen Kandidaten für eine Führungsposition in dem auftraggebenden Unternehmen dar. Die zehn Kernkompetenzen, die nach Abklärung mit dem Management des Unternehmens für diese Position besonders erforderlich sind, sind:

  • Visionskraft: langfristige Ziele zu erkennen und die Einführung unterschiedlicher oder alternativer Ideen zu gestalten.
  • Entscheidungsstärke: gute Entscheidungen souverän mit kalkulierbarem Risiko und unter optimalen Zeitaufwand zu treffen.
  • Veränderungsinitiative: Maßnahmen zu ergreifen, um Veränderungsinitiativen effektiv zu unterstützen und einzuführen.
  • Planungs- und Organisationsfähigkeit: eine effektive Organisation und Planung gemäß den Anforderungen des Unternehmens, indem Ziele definiert und Bedürfnisse und Prioritäten antizipiert werden.
  • Ergebnisorientiertes Handeln: von sich und dem Unternehmen das Erreichen oder Übertreffen vorher festgelegter Ziele einfordern.
  • Überzeugungskraft und Einflussnahme: Andere von einer Vorgehensweise überzeugen.
  • Zielorientierte Führung: andere zu führen und zu motivieren, um die Unternehmensziele und individuelle Ziele zu erreichen.
  • Mitarbeiterentwicklung: andere zu beraten, zu unterstützen, ihnen Feedback zu geben und als Mentor zur Seite zu stehen, um die Entwicklung von beruflichen Kompetenzen und langfristigem Karrierewachstum zu fördern und ihnen nützlichen Input dazu zu geben.
  • Motivationskraft: mit der eigenen starken Begeisterung und tiefen Leidenschaft eine Aufgabe gut auszuüben sowie auch andere zu Höchstleistungen anzuspornen.
  • Beziehungsmanagement: positive Beziehungen mit Menschen außerhalb ihres direkten Arbeitsumfeldes aufzubauen und zu pflegen.

Je höher der Wert bei der entsprechenden Kompetenz ist, desto besser ist die Übereinstimmung zwischen dem Bewerber/Mitarbeiter und den Anforderungen durch die Position und das Unternehmen. Jede dieser Kernkompetenzen gliedert sich in einzelne Teilkompetenzen auf, die ihrerseits detailliert erfasst werden. Diese Teilkompetenzen umfassen z. B. bei der Visionskraft die Fähigkeit, reflektierend und realistisch zu denken, die Entscheidungsfreudigkeit, Selbstsicherheit, Eigenständigkeit und das Arbeitstempo.

Jeder Kandidat erhält eine genaue schriftliche Auswertung seiner Ergebnisse, in denen auch konkrete Vorschläge für Weiterbildungsmaß-nahmen enthalten sind. Dazu zählt auch, dass gezielt die vorhandenen Stärken und Potenziale en détail dargestellt werden.

Herr Maier: Der gute Networker und Planer

In diesem Beispiel bringt Herr Maier bereits viele Kompetenzen mit, die eine gute Führungskraft ausmachen: Er zeigt hohes Potenzial in den Bereichen Beziehungs-management und Mitarbeiterentwicklung und ist sehr wahrscheinlich ein hervorragender Planer und Organisator. Er verbindet jedoch die Fähigkeit, ein gutes Verhältnis zu seinen Mitmenschen aufbauen zu können nicht mit der Überzeugungskraft und Veränderungsinitiative, die in dieser Position vonnöten ist. Auch der Bereich der Motivationskraft und des ergebnisorientierten Handelns bedarf der Entwicklung. Damit besteht bei Herrn Maier in insgesamt sieben von zehn Schlüsselkompetenzen Weiterbildungsbedarf.

Frau Müller: Die Tatkräftige

Bei Frau Müller wird deutlich, dass von den zehn Als zweites Beispiel ist nun das Profil von Frau Müller dargestellt, die für die zu besetzende Position gut geeignet ist. Ihrem Profil liegen dieselben Vergleichswerte zugrunde wie bei dem von Herrn Maier, jedoch sind in diesem Beispiel andere Ausprägungen hinsichtlich der vorhandenen Kompetenzen ersichtlich.

Schlüsselkompetenzen, die für diese Position in diesem Unternehmen als unbedingt erforderlich definiert wurden, acht in hervorragender Ausprägung vorhanden sind. Sie ist für die angestrebte Führungsposition in diesem Unternehmen prinzipiell gut geeignet und verbindet strategisch-intellektuelles Potenzial, wie z. B. Visionskraft und Veränderungsinitiative mit Führungskompetenzen wie z. B. Motivationskraft und Mitarbeiterentwicklung. Dennoch: Besonders der Bereich Beziehungsmanagement ist noch optimierbar.

Wer ist der/die Richtige, Herr Maier oder Frau Müller?

Im direkten Vergleich der Kompetenzprofile beider Kandidaten wird deutlich, dass Frau Müller insgesamt besser auf das Anforderungsprofil für die zu besetzende Führungsposition passt. Die höheren Prozentwerte bei den Kernkompetenzen weisen dies aus. Das bedeutet aber in keinem Fall, dass Herr Maier generell für dieses Unternehmen ungeeignet ist! In anderen Positionen innerhalb des Unternehmens kann das Kompetenzprofil dieses Mitarbeiters eine hervorragende Übereinstimmung ("Match") mit den Anforderungen des Unternehmens ergeben. Darum wäre im zweiten Schritt wichtig herauszufinden, wo Herr Maier gemäß seinen Kompetenzen und Eigenschaften besser und auf Dauer glücklicher arbeiten kann. Für hervorragende Leistungen in der aktuell zu besetzenden Position jedoch müssten Unternehmen und Kandidat zu viel Zeit und Aufwand in Weiterbildungsmaßnahmen investieren. Das Resultat eines solchen "Weiterbildungs- Marathons" wäre vermutlich eher Frustration als Erfolg.

Bei Frau Müller besteht sicherlich auch die Möglichkeit zur Optimierung, hier ist jedoch mit weit weniger Aufwand als bei Herrn Maier zu rechnen. Eine Weiterbildungsmaßnahme wie z. B. ein On-the-Job-Coaching würde reichen, um bei ihr eine nachhaltige und spürbare Verbesserung der Leistung zu erzielen.