Weiterbildung für angelernte Fachkräfte im Prozess der Arbeit

Dass die klassische seminaristische Weiterbildung die Beschäftigten in der Industrie nicht angemessen für die Herausforderungen am Arbeitsplatz stärkt, gilt in der Berufsbildungsforschung inzwischen als Allgemeinplatz. Doch wie müssen moderne Weiterbildungsformen beschaffen sein? Eine Antwort darauf erarbeitet das Projekt „Weiterbildung im Prozess der Arbeit für Fachkräfte in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg“ (WAP). Zielgruppen dieses Projektes sind vor allem an- und ungelernte Fachkräfte, eine Beschäftigtengruppe, die bislang kaum Weiterbildung erfahren hat.

Das Projekt „Weiterbildung im Prozess der Arbeit für Fachkräfte in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg“ (WAP) wird aus Mitteln der Zukunftsoffensive Junge Generation des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg gefördert. Projektträger ist die AgenturQ, eine gemeinschaftliche Einrichtung vom Metallarbeitgeberverband Südwestmetall und der IG Metall Baden-Württemberg. Die wissenschaftliche Begleitung liegt beim Institut Technik und Bildung (ITB) und der Pädagogische Hochschule Heidelberg (PH).

Ziel des Projektes ist es, die Weiterbildung in dieser Branche sowohl quantitativ als auch qualitativ zu verbessern und auch jenen Erwerbstätigen zu ermöglichen, die bisher nicht im Fokus von Weiterbildungsmaßnahmen standen (An- und Ungelernte).

Hierzu wurden übertragbare arbeitsorientierte Lernkonzepte entwickelt und erprobt, die es ermöglichen, die Lernpotenziale des Arbeitsplatzes besser zu erkennen und individuelles Lernen in der Arbeit systematisch zu verbessern und nachhaltig zu nutzen.

Entwicklung der Lernkonzepte

Schritt 1: Bedarfsanalyse

Weiterbildung, die sich am Bedarf der Mitarbeiter orientieren, setzt eine Untersuchung dieses Bedarfs voraus. Deshalb wird im ersten Schritt dieser Bedarf sowohl aus Sicht des Unternehmens als auch aus Sicht der Mitarbeiter analysiert.
Dies geschieht im WAP-Projekt mit Hilfe leitfadengestützter Interviews, einer quantitativen Fragebogenerhebung sowie teilnehmender Beobachtung. Als Resultat der Untersuchung werden in einem Feedbackgespräch die Tätigkeitsbereiche bzw. Personengruppen mit besonders großem Weiterbildungsbedarf gemeinsam mit dem jeweiligen Unternehmen festgelegt.

Die Bedarfsanalyse ist auf Grundlage des Referenzsystems ‚lernendes Unternehmen’ konzipiert und ermöglicht neben der Identifizierung des Qualifikationsbedarfs des Unternehmens und der Feststellung des Weiterbildungsbedarfs der Mitarbeiter die Gewinnung von Einblicken in die konkreten Arbeitsprozesse im Sinne einer umfassenden Kontextanalyse.

Schritt 2: Weiterbildungsprofil

Nachdem gemeinsam mit dem Unternehmen Bereiche mit hohem Weiterbildungsbedarf abgeleitet wurden, folgt die Erstellung eines Profils für die betrieblichen Aufgabenbereiche, zum Beispiel für eine Qualitätsfachkraft, eine Fertigungsfachkraft, einen Anlagenführer oder einen Einsteller.

Ein Weiterbildungsprofil besteht aus Aufgabenbündeln, das heißt aus einer Liste von Aufgaben, die eine Fachkraft in ihrem Handlungsfeld zu bewältigen hat. Dabei kann es sich sowohl um Aufgaben, die tagtäglich auftreten, als auch um nur selten auftretende Aufgaben handeln.

Im Rahmen von Experten-Workshops erfolgt die Abfrage und Beschreibung der Arbeitsaufgaben/Arbeitsprozesse des jeweiligen Handlungsfeldes. Als Experten werden jene Mitarbeiter herangezogen, die innerhalb des Unternehmens eine Position innehaben, welche die umfassende Übernahme von Tätigkeiten/Aufgaben im Handlungsfeld beinhaltet.

Beispiel: Weiterbildungsprofil Qualitätsfachkraft

Handlungsfeld Qualität: Das Thema wird im Rahmen der Weiterbildungsbedarfsanalyse als relevantes Handlungsfeld identifiziert: Viele der täglichen Arbeitsaufgaben eines Werkers weisen qualitäts-relevante Aspekte auf. Um diesen Qualitätsanforderungen gerecht zu werden, fehlt es jedoch vor allem an Kompetenzen hinsichtlich eines Qualitätsbewusstseins und qualitätsbezogener Handlungskompetenz. Nach Absprache mit den Projektverantwortlichen des Unternehmens erfolgt die Durchführung eines Experten-Workshops mit Mitarbeitern verschiedener Hierarchieebenen, die in ihrer täglichen Arbeit mit dem Thema Qualität (in unterschiedlicher Intensität) konfrontiert sind: Werker, Qualitätsbeauftragte, Bereichsleiter. Innerhalb des Experten-Workshops werden die Arbeitsaufgaben einer Qualitätsfachkraft erarbeitet, beschrieben und hinsichtlich des zur Bewältigung jeweils erforderlichen Grads an Expertise eingestuft.

Schritt 3: Weiterbildungsprogramm

Nachdem die Profile für einen Tätigkeitsbereich feststehen, wird im dritten Schritt ein Weiterbildungsprogramm konzipiert. Dieses kann für zwei Zielgruppen gestaltet werden: Zum einen für Anfänger aus dem Arbeitsbereich, die sich zu Experten entwickeln sollen, und zum anderen für Fachkräfte in diesem Bereich, die in bezug auf einzelne Aufgabentypen Entwicklungsbedarf haben.

Auf Grundlage der Weiterbildungsprofile wurden in Experten-Workshops konkrete Arbeitsaufträge erarbeitet, die tagtäglich oder nur in einzelnen Fällen zu erledigen sind (= Arbeits- und Lernprojekte). Ziel der Arbeits- und Lernprojekte als Weiterbildungsmaßnahmen ist, dass die Teilnehmer in realen authentischen Projekten im Arbeitsprozess lernen, wodurch selbstgesteuertes kooperatives und erfahrungsgeleitetes Lernen gefördert wird. Da sich nicht alle Lerninhalte dafür eignen, in Arbeits- und Lernprojekten angeeignet zu werden, wird das Weiterbildungsprogramm durch klassische Weiterbildungsseminare ergänzt, in denen zum Beispiel PC-Grundlagen oder Grundlagen des statistischen Messens vermittelt werden.

Schritt 4: Weiterbildungsmaßnahme

In dieser Phase erfolgte die Umsetzung des Weiterbildungsprogramms. Der Lernprozess wird fachlich, pädagogisch und organisatorisch durch unternehmensinterne Lern- und Fachberater unterstützt.

Schritt 5: Evaluierung

Im letzten Schritt des Projektverlaufs werden einerseits die Erfahrungen der Lernberater durch leitfadengestützte Interviews erhoben, andererseits die Erfahrungen der Lernenden im Rahmen von Workshops ermittelt.

Wozu der Lern- und Fachberater?

Selbstgesteuert zu lernen bedeutet, dass der Lernende seinen Lernprozess weitgehend selbständig plant, strukturiert und organisiert. Diese Art des Lernens ist für An- und Ungelernte ungewohnt und kann sie überfordern. Hier steht der Lernberater unterstützend zur Seite. Er hat die Aufgabe, „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu leisten; Wenn zum Beispiel ein Lernproblem vorliegt, kreist der Lernberater dieses mit dem Lernenden so ein, dass dieser selbst erkennen kann, wo die Ursache seiner Schwierigkeiten liegt und angeregt wird, Lösungswege zur Überwindung der Probleme zu finden.

Die Lern- und Fachberater werden vom jeweiligen Unternehmen entsprechend ihrer pädagogischen und / oder fachlichen Kompetenzen ausgewählt und durch ein eigens hierfür entwickeltes Konzept (Seminare, Beratung, Reflektion) auf ihre Aufgabe vorbereitet und währenddessen betreut. Während der Fachberater den Lernenden fachlich unterstützt, begleitet der Lernberater den Lernprozess des Weiterbildungsteilnehmers.

Das WAP-Konzept des Beratungsprozesses sieht vier Phasen vor:

Planungsgespräch

Das Planungsgespräch findet vor dem eigentlichen Start der Arbeits- und Lernprojekte statt und dient der Vorinformation für den Lernberater, um die Kompetenzen und den Entwicklungsbedarf des Lernenden einschätzen zu können. Zusammen mit dem Vorgesetzten oder einer anderen Person, die den Lernenden gut einschätzen kann (z.B. Personalentwickler), wird eine Vorauswahl der Arbeits- und Lernprojekte getroffen. Dies soll aber keineswegs die Beteiligung des Lernenden bei der Auswahl der Arbeits- und Lernprojekte ersetzen.

Kick-Off Gespräch

Hier erfolgt die Einführung des Lernenden in die arbeitsprozessorientierte Weiterbildungsmethode, dabei werden Rolle und Aufgaben des Lernberaters und des Lernenden gemeinsam definiert. Wichtig ist, dem Lernenden zu vermitteln, was es heißt, selbstgesteuert zu lernen, und dass Fehler zu diesem Weg dazu gehören.

Eine entscheidende Rolle in Bezug auf die Selbststeuerung des Lernprozesses spielt die gemeinsame Entwicklung und Festlegung des Lernziels (Zielvereinbarung), unterteilt in Teilziele. Der Lernende soll eine Vorstellung davon entwickeln, welche Kompetenzen, orientiert an seinen Eingangsvoraussetzungen und dem Ziel-Profil, das Ergebnis des Lernprozesses sein könnten.

Im Rahmen des Kick-Off Gespräches wird auch eine Vereinbarung über den formellen Rahmen der Beratung getroffen (zum Beispiel wo und wann der Lernende die Beratung in Anspruch nehmen kann und ob davon unabhängig regelmäßige Treffen vereinbart werden und ähnliches). Diese Vereinbarung zwischen Lernendem und Lernberater wird schriftlich festgehalten.

Beratungsgespräche

Die Beratungsgespräche im Verlauf der Arbeits- und Lernprojekte bilden den Kern der Arbeit des Lernberaters. Sie können sowohl zu fest vereinbarten (regelmäßigen) Terminen stattfinden, als auch bedarfsorientiert vom Lernenden eingefordert werden. Die Gespräche dienen der Reflexion des Lernprozesses und der Überprüfung der Ziele. Die Teilziele werden mit dem Erreichten und Erfahrenen abgeglichen und ggf. abgeändert. Der bisherige Lernweg wird reflektiert und das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag thematisiert. Am Ende jedes Beratungsgespräches wird ein Gesprächsfazit festgehalten, in dem das Ergebnis des Gesprächs und gegebenenfalls neue/ geänderte Zwischenziele schriftlich fixiert werden.

Darüber hinaus unterstützt der Lernberater den Lernenden bei der Erstellung und Durchführung der Präsentation, die zum Abschluss eines Arbeits- und Lernprojektes stattfindet.

Abschlussgespräch

Im Abschlussgespräch findet ein Feedback über den gesamten Lernprozess statt. Hier reflektiert der Lernende den Lernprozess und dessen Ergebnis aus seiner Sicht, wobei der Lernberater seine Eindrücke ergänzend spiegelt. Außerdem gibt der Weiterbildungsteilnehmer ein Feedback zu der Beratungsleistung des Lernberaters.

Fazit

Die bisherige Erfahrung hat gezeigt, dass der Lernberater eine Schlüsselfunktion im Rahmen dieses Weiterbildungskonzeptes hat. Es hängt maßgeblich von seiner Kompetenz, Einstellung, Motivation und zeitlichen Kapazität ab, wie sich der Lernprozess gestaltet. Weitere Voraussetzung für ein Gelingen von arbeitsprozessorientierter Weiterbildung ist, dass die notwendigen Rahmenbedingungen innerhalb des Unternehmens geschaffen werden. Wichtig ist, sowohl die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu klären als auch zeitliche Freiräume für Lernende und Berater zu schaffen.