Sinnerfassendes Lesen - Pisa-Thema #1

Die vergangene Pisa-Studie hat Österreich leider kein ansehnliches Zeugnis in punkto Lesekompetenz ausgestellt. Worum handelt es sich denn bei „sinnerfassendem Lesen“? Was verleiht unserem eigenen Lesen mehr „Sinn“? Ich lade Sie ein, den „Sinn“ dieses Artikels zu „erfassen“ – zu Ihrem persönlichen Vorteil.

Axel Santer
Axel Santer, TRAINTRAIN

Als erwachsene Leser lesen wir unterschiedliche Lektüre zu unterschiedlichem Zweck. Das macht auch unterschiedliche Lesemethoden erforderlich. Beleuchten wir kurz vier Arten des Lesens.*

Wer gewohnheitsmäßig zur Entspannung liest tut sich Gutes. Füße hochlagern, Roman, Biografie oder Poesie im Herzen genießen und Wortwahl, Satzkonstellation oder Sound der Sprache als Abenteuer im Kopf nachklingen lassen. In der Regel erfassen wir dabei bereitwillig und gerne den Sinn, da es sich meist um selbstgewählte Lektüre handelt, deren Bedeutung wir erfahren möchten.
Genusslesen will aber auch gelernt sein. Wer schon als Kind keine Bücher schätzen lernt begnügt sich möglicherweise in der Freizeit mit Nintendo & Co. Schade eigentlich.

Bei einer weiteren Leseart geht es ums Studieren. Bei welchen Texten sind wir zum schürfen und studieren angehalten? Zum Beispiel bei hochtechnischen Anleitungen, komplexen Gesetzestexten oder komplettem Neuland. Studieren ist tiefgehendes analytisches Lesen und Erfassen oft mit Hilfe von Textsurfern (schlanken Leuchtmarkern) und möglichst gehirnfreundlichen Notizen. Und gerade hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Viele Leute malen regelrecht ganze Absätze bunt an. Doch wenn alles gleich wichtig ist, ist nicht zugleich auch alles unwichtig, da es keine Höhen und Tiefen mehr gibt? Die Herausforderung ist es dabei nur wenige markige Schlüsselwörter herauszufiltern – und zwar genau die Keywords, die eine Rekonstruktion des gelesenen Textes ermöglichen. Das lässt sich üben! Und wer im nächsten Schritt den Farben eine Bedeutung oder gar hierarchische Wichtigkeit zuordnet ist auf dem besten Weg zum eigenen Wissensmanager.

Dann gibt es eine Lesestrategie, die als „Überfliegen“ bekannt ist. „Skimming & Scanning“ wie die Anglo-Amerikaner sagen (skim = abschöpfen, scan = flüchtiges ansehen). Wer auf diese Weise quer-liest, ist auf der Suche nach Orientierung, Grobinformation, aussagekräftigen Substantiven und versucht eine Struktur sowie ein persönliches Leseziel zu finden. Beim ersten Überfliegen werden sozusagen geistige „Schubladen“ geöffnet die beim eigentlichen Lesen nur mehr befüllt werden müssen. Geübtes Überfliegen ist die Basis für jedes weitere Vorgehen und wird meist in Kombination mit weiteren Lesetechniken eingesetzt - mit dem entscheidenden Unterschied, dass wir nicht mehr ins Blaue hinein lesen!

Und dann gibt es noch Speed Reading oder Schnelllesetechniken. Das ist eine besonders wirksame Strategie um die allermeisten Texte sinnerfassend zu meistern. Leider hält sich immer noch hartnäckig der Mythos „je langsamer umso verständlicher“. Das wäre Vergleichbar mit einem Autofahrer, der mit Schritttempo fährt. Er ist mit Kupplung-schleifen beschäftigt, kann sich daneben fast noch Kaffee kochen und studiert den Stuck an der vorbeiziehenden Hausfassade. Aber mit effizientem ankommen am eigentlichen Ziel hat das relativ wenig zu tun. Fakt ist: wenn das Gehirn unterbeschäftigt ist, sucht es sich unweigerlich andere Beschäftigungen. Wer hingegen mit 230 km/h unterwegs ist, konzentriert sich voll und ganz auf die Strecke und sein Ziel. Telefonieren oder Radiosender suchen ist weder möglich noch ratsam. Auch beim Lesen gilt die Gleichung: Konzentration steigert sich mit zunehmender Geschwindigkeit.
Noch eine interessante Erkenntnis: Es gibt im deutschen Sprachgebrauch knapp 50 Wörter die mit der eigentlichen Satzaussage oder dem „Sinn“ überraschend wenig zu tun haben. Sie heißen: „die, für, auch, bei, über, der, im, es, wird, einen, und, ist, an, einer, zum, in, auf, aus , um, nur, den, des, sie , wie, war, von, werden, dass, so , zu, den, er, sind, haben, mit, ein, hat, noch, aber, das, eine nach, vor, bis, sich, als, am, einem ...“
Diese Wörter machen etwa 1/3 (!) des Gelesenen aus. Sie gehören zu Wortgruppen einfach dazu wie die Schale zur Banane. Aber essen wir die Schale? Geübte Speed-ReaderInnen sagen sich daher innerlich „her mit der Aussage!“. Dazu kommen noch ein paar wirkungsvolle Temposteigerer. Das Zeitersparnis ist dabei beachtlich. Wer z.B. um lediglich 50 % schneller liest (viele steigern sich bereits am 1. Seminartag um 100% oder mehr) hat bei 1-stündigem Lesepensum pro Tag am Monatsende 10 Stunden gut - und noch dazu den Sinn erfasst!

Die Infoflut steigt kontinuierlich. Laut Experten verdoppelt sie sich ca. alle 20 Monate! Optimieren auch Sie Ihre Lesekompetenz, gewinnen Sie die Oberhand über Berge von Zeitungen, Fachzeitschriften, E-Mails, Handbücher, Magazine. Dann haben auch Sie die Zeit das Buch zu lesen, das Sie schon immer lesen wollten. Das macht Sinn!

* Dieser Artikel richtet sich an erwachsene Leser und Leserinnen und ist für Kinder im Grundschulalter nur begrenzt anwendbar.