Salutogenese und gesunde Führung

Führungskräfte stehen vor vielen Herausforderungen, eine davon ist die psychische Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen. Dabei hilft Ihnen die sogenannte Resilienz, die psychische Widerstandskraft. Doch was ist das genau? Wer hat sie – wer nicht? Und was hat das mit Führung zu tun?

Der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky fand in den 70 er Jahren des vergangen Jahrhunderts heraus, dass es vor allem die Resilienz des Einzelnen ist, die seine Gesundheit schützt. Im Rahmen einer Studie stieß er auf ein Zufallsergebnis und fragte sich „Wie ist es möglich, dass einige Frauen die Konzentrationslager der Nazi-Zeit ohne körperliche und seelische Schäden überstanden haben?“ Antonovsky untersuchte fortan die Faktoren, die Gesundheit schützen und erhalten. Sein Konzept der Salutogenese stellt die Kernfrage: was hält Menschen gesund? Die Antworten, die Antonovsky im Lauf seiner Forschungen fand und wissenschaftlich belegte, sind eindeutig und haben einen hohen Wert für die Arbeitswelt:

Der erste Schutzfaktor ist das Gefühl, die Dinge, die einem widerfahren, zu verstehen und einordnen zu können. So konnten die Frauen, die die Konzentrationslager gesund überlebten, nachvollziehen, dass die Rassenideologie der Nazis das Foltern, z.B. Andersdenkender beinhalten musste. Ein Vorgesetzter, der klärt, ob seine Mitarbeiter verstanden haben, warum eine Entscheidung getroffen wurde oder warum ein bestimmter Veränderungsprozess stattfindet, schafft die Basis für Faktor 1: dem Gefühl von Verstehbarkeit.

Der zweite Faktor war das Gefühl der Machbarkeit. Die Überlebenden hatten während ihrer KZ-Zeit die innere Überzeugung, diese Lebensphase irgendwie zu meistern. Vorgesetzte, die erfragen, inwieweit ihre Mitarbeiter das Gefühl haben, die gestellte oder veränderte Aufgabe auch bewältigen zu können und sie hierbei aktiv zu unterstützen, fördern den Faktor 2 bei Ihren Mitarbeitern: das Gefühl der Machbarkeit.

Und der dritte Faktor war das Gefühl der Sinnhaftigkeit. Die Frauen hatten ihr Leiden in den Lagern als ihre Lebensaufgabe angenommen. Sie haderten nicht und rieben sich nicht daran auf. Sie akzeptierten diese Phase in ihrem Leben, beispielsweise als eine ihnen von einer höheren Macht gestellte Aufgabe, was dem Erlebten einen Sinn gab. Übertragen auf die Führungskräfte heißt das: Wer im dritten Schritt die Sinnhaftigkeit einer Maßnahme, eines Ablaufs oder einer Veränderung glaubhaft vermittelt, hat die Resilienz seiner Mitarbeiter gestärkt.

Alle drei Faktoren sind für Führungskräfte relevant und können als hilfreiche Leitlinien für gesundes Führungsverhalten dienen. Entscheidungen in Unternehmen werden aus ökonomischen oder auch politischen Gründen getroffen. Das Warum ist für Mitarbeiter nicht immer offensichtlich. Wenn sie akzeptieren, dass es um entsprechende Fakten geht – auch mal um politische – dann reiben sie sich nicht auf, sondern verstehen. Wenn sie befähigt werden und dann überzeugt sind, die (neue) Aufgabe bewältigen zu können, fühlen sie sich unterstützt und gestärkt. Können sie ein Ziel und ein Ergebnis hinter einer Maßnahme oder Entscheidung erkennen, sind die Voraussetzungen für eine gestärkte Resilienz gegeben.

Wer seine Mitarbeiter bei obigen drei Faktoren nicht mitnimmt, riskiert innere Kündigung, fehlende Leistungsbereitschaft, hohe Krankenstände und ein wenig förderliches Arbeitsklima, was sich in psycho-sozialen Konflikten zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten zeigt.

Über Resilienz verfügen einige Menschen mehr, andere weniger – trainieren kann sie jeder. Bei einer späteren Untersuchung an Kindern und Jugendlichen fanden andere Wissenschaftler heraus, dass eine optimistische Sicht auf die Dinge uns ebenfalls gesund hält. Wer Probleme als Herausforderung und Krisen als Chance sehen kann und aktiv eine Problemlösung anstrebt anstelle sich als Opfer der
Umstände zu fühlen, bleibt länger gesund. Führungskräfte, die salutogen – also gesundheitsfördernd – führen, konzentrieren sich hauptsächlich auf die Ressourcen, auf das, was gut klappt, das, was die Mitarbeiter gut können, was ihnen gut gelingt. Die Fehler werden gesehen, stehen aber nicht im Fokus. Es ist also eine positive, lösungsorientierte innere Haltung der Führungskraft, die gesunde Führung ermöglicht.

Doch gesunde Führung beinhaltet noch mehr – was sich an drei Bausteinen festmacht. Zum einen ist es ein ‚partnerschaftliches Führen‘, das aus den folgenden vier Faktoren besteht: vertrauens- und respektvolle Atmosphäre, Beteiligung der Mitarbeiter an Entscheidungsprozessen, Beteiligung der Mitarbeiter am wirtschaftlichen Erfolg (monetär oder durch das Feiern erreichter Ziele) und die Förderung der beruflichen Entwicklung von Mitarbeitern. Die im Bertelsmann Konzern seit 2002 gemessene Wirkung dieses Führungskonzepts: höchste Motivation und Identifikation der Mitarbeiter, hohe Arbeitsbelastung wird nicht als Gesundheitsbeeinträchtigung erlebt, geringere Krankenstände und maximale Produktivität.

Der zweite Baustein beinhaltet regelmäßig positives Feedback – denn Mitarbeiter empfinden bei vergleichbarer Arbeitsbelastung weniger Stress, wenn sie regelmäßig gelobt werden. Zudem reduziert positives Feedback bei Mitarbeitern das Burnout-Risiko.

Als dritter Baustein gesunder Führung wirkt die soziale Unterstützung: Wer sich gut unterstützt fühlt von seinen Chefs und Kollegen, hat erwiesenermaßen eine höhere Stressresistenz. Muss beispielsweise ein Mitarbeiter plötzlich einen Angehörigen pflegen, erweist sich als gute Führungskraft, wer veränderte Arbeitszeiten, Auszeiten oder anderes Entgegenkommen anbietet. So werden arbeitsplatzbezogene Ängste und Krankmeldungen reduziert, zudem schafft ein solches Verhalten hohes Vertrauen in die Führungskraft und steigert die Leistungsbereitschaft des Mitarbeiters. Studien haben darüber hinaus nachgewiesen, dass Mitarbeiter, die sich von ihren Chefs und Kollegen gut unterstützt fühlten, insgesamt höhere Werte bei der Lebenszufriedenheit hatten und eine Stärkung ihres Selbstwertgefühls erfuhren.

Gesunde Führung ist aber letztlich nicht nur ein Bündel an Tools oder Maßnahmen. Es ist vielmehr auch eine innere Haltung, eine Frage der Persönlichkeitsbildung und der Wertschätzung, die jeder für sich und andere empfindet. Die Sensibilisierung für die Bedeutung der eigenen inneren Haltung als Vorgesetzter ist ein neben der Vermittlung von Methoden ein Aspekt unserer Weiterbildungen und Vorträge – auch auf dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement 2015 am 2. und 3. Februar 2015 in München.