Jung führt Alt – wie geht das?

In vielen Betrieben stehen junge qualifizierte Mitarbeiter vor der schwierigen Aufgabe, Menschen zu führen, die deutlich älter sind als sie selbst. Diese Führungskonstellation ist aus verschiedenen Gründen nicht ganz einfach – für beide Seiten. Von wem lassen wir uns etwas sagen? Lenkung und Steuerung ist ein klares Rangordnungs-Signal. Wir lassen uns nur steuern von jemandem, dem wir dies auch zugestehen. Rangordnung in diesem Sinn entsteht im Wesentlichen durch drei Aspekte:

  • Die formale Rolle (Befugnisse und Rechte)
  • Kompetenz im weitesten Sinn (Fähigkeiten, Glaubwürdigkeit, „Vermögen“)
  • Zugehörigkeit zum Feld (Lebensalter, Job-Alter, Erfahrung…)

Fallen diese drei Aspekte in einer Person zusammen, wird Führung durch diese Person in der Regel problemlos akzeptiert: Von einer Führungskraft, die hierarchisch überstellt, die in ihrem Aufgabenbereich kompetent und im weitesten Sinne „schon lange dabei“ – zum Beispiel älter ist - , lassen wir uns in aller Regel gern leiten. Wird nun aber eine Person trotz ihrer formalen Position nicht als kompetent  wahrgenommen (zum Beispiel weil ihr noch Erfahrung fehlt), oder ist sie wesentlich jünger als die von ihr geführte Person, erfordert es eine besondere soziale Fähigkeit, die Führungsrolle gut auszufüllen.

Tipps für junge Führungskräfte

Junge Führungskräfte, die in ihrer Rolle akzeptiert werden möchten, tun gut daran, einige Grundregeln zu beachten, die ihren Mitarbeitern die Akzeptanz erleichtern.

1. Besetzen Sie Ihre Rolle selbstverständlich und im Sinne einer Funktion

Manche Menschen verbinden mit Führung die Vorstellung, eine Führungskraft sei grundsätzlich intelligenter oder menschlich und fachlich entwickelter als die ihr unterstellten Mitarbeiter. Diese Einstellung ist genauso problematisch wie die Vorstellung, man leiste als Führungskraft mehr als die Mitarbeiter und werde deshalb besser bezahlt. Sie werden es leichter haben, wenn Sie Ihre Führungsrolle funktional verstehen – einfach als eine besondere Aufgabe neben anderen -, die Sie dann auch selbstverständlicher besetzen können.

Für die Besetzung einer Funktion kann man Akzeptanz zunächst einfach  voraussetzen: Die beste Chance, akzeptiert zu werden, haben Sie, wenn Sie selbstverständlich davon ausgehen, dass Sie akzeptiert sind und sich auf dieser Basis  Mühe geben, die Rolle gut zu füllen. Denn dann verhalten  Sie sich entspannt, sicher, freundlich und normal. Viele junge Führungskräfte werden  aus reiner Unsicherheit „bossig“, weil sie meinen, ihre Position klarstellen und verteidigen zu müssen. Damit macht man sich schnell unbeliebt.

2. Sprechen Sie die Merkwürdigkeit der Situation offen an

Es kommt bei älteren Mitarbeitern gut an, wenn junge Vorgesetzte ihnen signalisieren, dass die Führungskonstellation eigenartig ist. Hier hilft Humor und Respekt. Viele Worte braucht es an dieser Stelle nicht – aber die Würdigung der „Schieflage“ in der Situation ist eine gute Voraussetzung für Verständigung. Besonders wichtig ist dieser Aspekt bei der Mitarbeiterbeurteilung (siehe weiter unten).

Fragen Sie den Mitarbeiter beim Kennenlernen, was er von Ihnen als Führungskraft braucht und erwartet, damit er seine eigene Arbeit gut tun kann. Dies kann weniger sein, als Sie denken. Mischen Sie sich nicht in die Arbeit eines erfahrenen Mitarbeiters ein, wenn es nicht nötig ist.

3. Zeigen und empfinden Sie inneren Respekt vor dem Alter

Entscheidend für die Balance in der Führungsbeziehung ist der tatsächliche Respekt vor dem strukturell gegebenen Erfahrungsvorsprung des Älteren.

Diesen Respekt können Sie als junge Führungskräfte leicht ausdrücken, indem Sie zum Beispiel

  • den älteren Mitarbeiter für die Bewältigung Ihrer Führungsaufgabe um Unterstützung bitten,
  • das Erfahrungswissen des Mitarbeiters ansprechen und nutzen, indem Sie sich vom älteren Mitarbeiter beraten lassen; Häufig kennt er den Betrieb wie seine Westentasche,
  • Höflichkeitsregeln ernst nehmen,
  • Diskretion bei schwierigen Themen mit biographischem Bezug zeigen (Lebenskrisen, Erkrankungen und andere),
  • nicht dem Vorurteil vom Alter als Einschränkung aufsitzen (was Motivation, Bildungs- und Entwicklungswillen, Leistungsbereitschaft und anderes anbelangt); im Betrieb hat man es nicht mit Greisen zu tun, und wer noch arbeitet, ist in der Arbeit auch veränderungs- und lernfähig,
  • die Unterschiede in den Motivlagen ernst nehmen, die unterschiedliche Stände in der Berufsbiographie mit sich bringen.

4. Kommunizieren Sie möglichst hierarchiearm

Junge Führungskräfte sind schlecht beraten, wenn sie zusätzlich zu der ihnen abverlangten funktionalen Führung Rangordnungssignale aussenden. Im Kontakt mit älteren Mitarbeitern gilt vielmehr: Bescheidenheit ist eine Zier. Dazu einige Beispiele

Verzicht auf überflüssige Machtsymbole
Ein protziger Dienstwagen steht einer jungen Führungskraft nicht. Auch muss sie nicht den größeren Schreibtisch, das höhere Stockwerk und die größere Fensterzahl beanspruchen. Die Bezahlung für die Aufgabe ist als Symbol ausreichend. Versuchen Sie nie, „den Boss raushängen zu lassen“.

Bitten sind besser als Befehle
Je stärker einschränkend ein Steuerungsimpuls sprachlich ist, desto stärker drückt er Hierarchie aus. Zwischen einem Befehl oder einer Anordnung und einer Bitte liegen – bei gleichem Inhalt - Welten.  Der Dank ist ebenfalls ein Signal des Respekts.

Ich-Botschaften statt Bewertung
Jede Beurteilung ist ein klares Rangordnungssignal. Auch „Alles Loben kommt von oben“. Vermeiden Sie, ältere Mitarbeiter in irgendeiner Form zu bewerten – auch, sie zu loben! Denn das wirkt arrogant. Machen Sie sich klar, dass Ihnen als junger Mensch die Bewertung eines Älteren im Grunde nicht zusteht. Sprechen Sie deshalb von sich – sowohl bei Rückmeldungen als auch bei der Anmeldung von Veränderungsbedarf: „Das hat mir geholfen“, „das hat mich beeindruckt“, „Ich habe von Ihrem Beitrag sehr profitiert“ ist Kommunikation „auf Augenhöhe“: „Das haben Sie gut gemacht“ klingt demgegenüber besserwisserisch und anmaßend. Besonders wichtig ist dieser Aspekt bei Kritik. „Ich brauche mehr von…“ anstatt: „Ich bin mit Ihrer Leistung nicht zufrieden.“ Ich-Botschaften sind eine Beschreibung Ihrer eigenen Situation – zum Beispiel von Auswirkungen und Bedarfen, die aus Ihrer Verantwortung heraus in Ihrem Arbeitsbereich entstehen. Wenn Sie Veränderungsbedarf anmelden möchten, beschreiben Sie Ihr eigenes Problem und Ihren Bedarf.

5. Beurteilen Sie nur fachlich und nur wenn unbedingt nötig

Weil Beurteilung ein solch klares Rangordnungssignal ist, ist die Mitarbeiterbeurteilung in dieser Konstellation besonders schwierig. Versachlichen und objektivieren Sie die Beurteilung so weit wie möglich. Versuchen Sie grundsätzlich, jede Beurteilung, die nicht zwingend ist, zu vermeiden. Lassen Sie gegebenenfalls auch bei systematischer Mitarbeiterbeurteilung nicht-fachliche Kategorien aus. Begründen Sie Ihren Vorgesetzten solche Schritte. Vermeiden Sie unnötige Kränkungsrisiken für den Älteren.

6. Beziehen Sie ältere Mitarbeiter mit ihren beruflichen Erfahrungen und mit ihrer meist hohen Bereitschaft, diese weiterzugeben, aktiv ein

Ältere Mitarbeiter können im Prinzip mehr zu Ihrer Entwicklung beitragen als Sie umgekehrt zu deren weiterer Förderung.

Die biographische Kurve – die Lebenskurve – ist eine groß angelegte Bewegung vom Nehmen zum Geben. Der Säugling nimmt nur. Je älter ein Mensch wird, desto mehr besteht stabile Identität darin, gegenüber der jüngeren Generation ins Geben zu kommen. Ein alter Mensch definiert sich darüber, was er geben kann und was er hinterlässt – an materiellen wie geistigen Spuren. Die Entwicklungsaufgabe des mittleren und höheren Lebensalters ist Generativität. Verschaffen Sie älteren Mitarbeitern die Möglichkeit dazu, ihre Erfahrung, ihr Wissen und ihren Rat geben zu können. Beziehen Sie sie an dieser Stelle ein, wo immer es geht.

Eine spezifische Art des Gebens kann für Mitarbeiter kurz vor dem Rentenalter übrigens darin bestehen, einen Arbeitsplatz für einen jüngeren Menschen frei zu räumen und/oder diesen einzuarbeiten. Wenn Personal abgebaut wird und im Rahmen von freiwilligen Aktionen Mitarbeiter angesprochen werden, öffnet eine solche Botschaft manchmal Türen für eine durchaus würdige Lebensentscheidung, wenn die finanzielle Situation es erlaubt - und wenn  sie nicht an Leistungsbeurteilungen gekoppelt ist. Und auch nur dann!

7. Vermeiden Sie Beratung ohne Auftrag

Sie können jederzeit Mitarbeiter darin unterstützen, ihre beruflichen Ziele zu verfolgen und über Angebote der Personalentwicklung informieren. Einem älteren Mitarbeiter Ratschläge zu geben – womöglich im Bereich persönlicher Themen - ist in aller Regel unangemessen. In fachlichen Fragen ist der Rat aber manchmal nötig. Leiten Sie Ihre Tipps respektvoll ein, zum Beispiel: „Ich kenne mich in diesem Bereich sehr gut aus… Darf ich Ihnen einmal etwas zeigen…/dazu etwas beschreiben…..“

8. Vermeiden Sie insbesondere kluge Ratschläge im Umgang mit biografisch bedingten schwierigen Themen

Wenn ältere Mitarbeiter durch psychische Krisen, biographisch schwierige Situationen wie zum Beispiel Scheidung oder Partnerverlust, Auszug der Kinder, altersbedingte Erkrankungen oder Suchtmittelmiss­brauch in persönliche Krisensituationen kommen, müssen Sie unter Umständen intervenieren. In diesem Fall ist es besonders wichtig, in Ich-Botschaften zu sprechen, jede Besserwisserei bezogen auf die Bewälti­gung der Krise zu vermeiden und deutlich zu  machen, dass Ihnen an dieser Stelle die Kompetenz fehlt, wirksam zu helfen. Informieren Sie über interne und externe professionelle Beratungsangebote, aber ver­meiden Sie jede Form von Ratschlag. Lassen Sie sich selbst beraten, wie Sie am besten vorgehen und in­formieren können. Wenden Sie sich an Ihre Vorgesetzten, wenn Sie unter vier Augen nicht weiterkommen.

9. Bleiben Sie respektvoll bei Leistungsminderung durch Krankheit und Verschleiß

Vielfach ist die Belastbarkeit älterer Mitarbeiter höher als die jüngerer Menschen. Trotzdem können mit zunehmendem Lebensalter durch Krankheit und Verschleiß auch deutliche Leistungsminderungen entstehen. Manchmal leidet darunter – je nach der betrieblichen Kultur – der Selbstwert. Begegnen Sie diesen Themen mit Respekt und Dank. Dabei hilft Ihnen der Gedanke, dass Sie zu denen gehören, die von dem profitieren, was zu diesem Verschleiß geführt hat. Von der Arbeit nämlich, die in allem steckt, was schon vorhanden ist. Versuchen Sie, Ihren älteren Mitarbeitern mit der menschlichen Einstellung zu begegnen, die Sie sich vom Arbeitgeber ihrer eigenen Eltern in einem solchen Fall wünschen würden.

10. Widerstehen Sie der Verführung zum Hochmut

Die wichtigste Grundlage für das erfolgreiche Führen älterer Mitarbeiter ist der Respekt vor gelebtem Leben. In vielen Kulturen wird Führung nicht ohne Grund „Den Ältesten“ anvertraut. Wenn Sie als junger Mensch führen, schützen Sie sich vor der Mutter aller Sünden – dem Hochmut. Bauen Sie stattdessen auf Ihre Kraft, auf Ihre Energie und Courage für Veränderung, Neuerung und Produktivität - und lassen Sie sich von den Älteren dabei beraten, stützen – und, wo immer es sinnvoll erscheint: führen.

Für einen älteren Mitarbeiter ist das größte Kompliment und die tiefste Form der Wertschätzung die Bestätigung der Generativität, Integrationskraft und Lebensweisheit.

Zum Beispiel der Dank dafür, vom Älteren gut beraten, geführt und unterstützt worden zu sein.

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